Persiphaé

Pasiphae-Gustave-Moreau
Gust­ave Moreau: Pasi­phaé. Musée Gust­ave Moreau, Paris. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Götter als Allegorien menschlicher Belange

Die Nähe zum pan­dä­mo­ni­schen, pan­psy­chi­schen oder auch zum poly­the­isti­schen Welt­bild liegt fast schon auf der Hand: Stets wer­den wir näm­lich ergrif­fen von frem­den Mäch­ten und von über­per­sön­li­chen Moti­va­tio­nen. Daher ist die Vor­stel­lung so nahe­lie­gend, als wür­den wir ein­ge­nom­men von dämo­ni­schen Mäch­ten, die Besitz von uns ergrei­fen, um ihre Moti­ve zu den unse­ren zu machen. — Inso­fern sind wir wohl nicht wirk­lich Herr unse­rer selbst, denn wer sucht sich schon die eige­ne Grund­stim­mung, die Grund­ge­füh­le und vor allem auch die Gefühls­schwan­kun­gen selbst aus. Göt­ter ver­kör­pern nicht nur Emo­ti­on, von denen wir uns bewe­gen las­sen, sie geben sie mit­un­ter auch ein.

Göt­ter kön­nen sich rächen, indem sie unwi­der­steh­li­che Nei­gun­gen ein­ge­ben: König Minos von Kre­ta hat­te einen eigens von Posei­don geschaf­fe­nen Stier mit außer­ge­wöhn­lich herr­li­cher Gestalt dem Mee­res­gott auf des­sen aus­drück­li­chen Wunsch nicht geop­fert, son­dern zur Ver­ed­lung der eige­nen Her­de ver­wandt. Dar­auf ließ Posei­don die Ehe­gat­tin des Minos Pasi­phae in hei­ßem Begeh­ren zu jenem Stier ent­bren­nen. Der sagen­um­wo­be­ne Erfin­der Däda­lus wur­de geru­fen, der eine höl­zer­ne Kuh kon­stru­ier­te. Die Köni­gin kriecht hin­ein, läßt sich von die­sem Stier begat­ten und gebiert dar­auf den Mino­tau­rus, der spä­ter dann im Laby­rinth gefan­gen gehal­ten und von The­seus unter Mit­hil­fe von Ari­ad­ne getö­tet wird.

Weil Minos dem Nep­tun einen Och­sen nicht opfer­te, wel­chen er ihm doch ver­spro­chen hat­te, so habe sie sich in den­sel­ben ver­lie­ben müs­sen. Ihre Brunst wur­de auch eher nicht gestil­let, als bis Däda­lus eine Kuh von Hol­ze ver­fer­tig­te, sol­che mit einer Kuh­haut über­zog, und die Pasi­phae hin­ein steckete. (Ben­ja­min Hede­rich: Gründ­li­ches mytho­lo­gi­sches Lexi­con. Leip­zig 1770. S. 1899.)

Man­ches spricht dafür, die Göt­ter des Pan­the­on zu sehen als das, was sie von Anfang an waren, Alle­go­rien für alle erdenk­li­chen mensch­li­chen Belan­ge. In ihrer Gesamt­heit ver­kör­pern sie alles, was an Moti­ven, Inter­es­sen, an Schick­sals­schlä­gen, Schwä­chen oder auch Stär­ken, Fer­tig­kei­ten und Talen­ten eine Rol­le spie­len kann.

Wenn dem­entspre­chend genau­er gefragt wird, etwa, was denn eigent­lich hin­ter der Empa­thie steht, und was denn dann die Sehn­sucht der Sehn­sucht aus­macht, dann könn­ten wir wei­ter­kom­men in die­ser Fra­ge, wenn uns ein Gott dazu ein­fie­le, der zustän­dig zu sein scheint. — Die Kunst, mit der ver­wir­ren­den Viel­falt eines Göt­ter­him­mels umzu­ge­hen, liegt eben dar­in, hin­ter den Alle­go­rien der Göt­ter ihre Zustän­dig­kei­ten zu eru­ie­ren. Die Fra­ge wäre also: Wel­cher Gott ver­kör­pert eigent­lich die Sehn­sucht der Sehn­sucht und wie gehen Göt­ter ihrer­seits damit um, Träu­me zu haben, die sie womög­lich selbst nicht leben kön­nen, etwa weil es zu ihrer Rol­le und zu ihrem Selbst­ver­ständ­nis ein­fach nicht paßt.