“Methode haben heißt mit dem Weg der Sache gehen”

Ernst Bloch als Phänomenologe

Im Win­ter­se­me­ster 1961/62 begann Ernst Bloch, nach Zwangs­eme­ri­tie­rung und Mau­er­bau, nun­mehr in Tübin­gen sei­ne über meh­re­re Seme­ster fort­ge­setz­te Tübin­ger Ein­lei­tung in die Phi­lo­so­phie, die spä­ter als Band 13 auf­ge­nom­men wur­de in die Gesamt­aus­ga­be sei­ner Wer­ke von letz­ter Hand. Die bereits ein Jahr zuvor in der Antritts­vor­le­sung ange­kün­dig­te, auf mehr als 22 Ver­an­stal­tun­gen kon­zi­pier­te Rei­he setzt ein, wie Bloch stets sei­ne Phi­lo­so­phie ent­wickelt, bei­läu­fig, aus­ge­hend vom ganz All­täg­li­chen, vom Nicht­phi­lo­so­phi­schen, vom Noch–Nicht–Philosophieren.

Bloch zufol­ge gehört bereits die Hin­füh­rung mit zur Sache selbst. Burg­hart Schmidt, ehe­dem lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter in Tübin­gen berichtet,

“Ernst Bloch bevor­zug­te, ja, betrieb die Text­an­fän­ge mit kur­zen Sät­zen, je kür­zer, um so bes­ser. Das zeig­te gera­de­zu Züge einer Manie bei ihm, hat­te aber über­leg­sa­me und über­leg­ba­re Dar­stel­lungs­mo­ti­ve in sich. (…) Blochs kur­ze Anfangssätze…versuchen sich…in der Gegen­wart fest­zu­ma­chen, sie bemü­hen sich ange­strengt dar­um, kei­nen Anfang und kein Ende zu haben.”

Ernst Bloch, Semi­nar Uni Tübin­gen, Feb. 1971. Quel­le: Wikimedia.

Wenn Bloch der Publi­ka­ti­on der Tübin­ger Ein­lei­tung eine kur­ze Vor­be­mer­kung vor­an­stellt, so liest man als ersten Satz: Mit­ten hin­ein ver­setzt zu wer­den, ist am besten. Hier wird Bloch eher an sich selbst gedacht haben, als an den Leser, den er beim Anfan­gen, Her­an­füh­ren und Wei­ter­füh­ren immer auch atmo­sphä­risch, ja insze­na­to­risch unter­stützt. Nicht der Leser wäre dem­nach mit­ten hin­ein ver­setzt wor­den, son­dern Bloch selbst, der sich zur Zeit des Mau­er­baus gera­de auf Lese­rei­se in Tübin­gen auf­hielt, der zu die­sem Zeit­punkt bereits zwangs­eme­ri­tiert wor­den war, inklu­si­ve Haus­ver­bot an der Leip­zi­ger Universität.

In einem Brief an den Prä­si­den­ten der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten schil­dert Bloch noch ein­mal die nähe­ren Umstän­de und teilt nicht ohne Bit­ter­keit mit: Mit mei­nen 76 Jah­ren habe ich mich ent­schie­den, nicht nach Leip­zig zurück­zu­keh­ren. Blochs Ruhm in der Bun­des­re­pu­blik ver­brei­te­te sich schnell, berich­tet Peter Zudeick in sei­ner Bio­gra­phie und zitiert Bloch mit den Wor­ten: Eine treff­li­che Uni­ver­si­tät, net­te Kol­le­gen und 1200 Hörer, mehr kann man nicht verlangen.

Ernst Bloch von Hans Neu­bert (1977, Blei­stift­zeich­nung, 42 x 56 cm). Quel­le: Wikimedia.

Auf die soeben erwähn­te vor­an­ge­stell­te kur­ze Vor­be­mer­kung zur Tübin­ger Ein­lei­tung fol­gen die ersten bei­den Zwi­schen­ti­tel: ›Zugang‹ und ›Erschwe­run­gen‹. An drit­ter Stel­le fin­det sich ein erster Haupt­teil unter dem Titel ›Metho­di­sches Fahrt­mo­tiv‹, gefolgt von einem wei­te­ren Abschnitt unter dem Titel ›Wei­sun­gen uto­pi­schen Inhalts‹. — Wie stets beginnt Bloch die Vor­aus­set­zun­gen für die Bedin­gun­gen sei­ner Phi­lo­so­phie ganz all­mäh­lich zu entwickeln.Unverzichtbar sind hier­zu die für ihn zen­tra­len Meta­phern von Rei­se und Fahrt, um den Moti­ven sei­ner Phi­lo­so­phie vor allem auch atmo­sphä­risch Aus­druck zu ver­lei­hen. Vor­erst aber ist von Fahrt hier nur die Rede, im eigent­li­chen Sin­ne in Bewe­gung sind die Dar­le­gun­gen selbst noch nicht.

So him­mels­stür­me­risch die mar­kan­te­sten Zita­tio­nen bloch­scher Pro­ve­ni­enz erschei­nen mögen, in der Ent­wick­lung sei­ner Phi­lo­so­phie bevor­zugt Bloch ganz bewußt eher die gezü­gel­te Bewe­gung, die fast schon gemäch­li­che aber eben zuver­läs­si­ge Stei­ge­rung der Geschwin­dig­keit. Dem­entspre­chend sind die Meta­phern stets genaue­stens kal­ku­liert und in jeder Hin­sicht abge­stimmt; es wird genau jene Stim­mung erzeugt, die der Sache und der Situa­ti­on, in der man sich vir­tu­ell und ima­gi­när soeben befin­det, ange­mes­sen sein sol­len. Bloch ver­steht sich dar­auf, eine ein­mal für erfor­der­lich gehal­te­ne Stim­mung bei der Zuhö­rer­schaft oder auch beim Leser ganz bewußt syste­ma­tisch zu erzeu­gen, um dann erst zur eigent­li­chen Sache zu kommen.