Menschenbilder

Für eine neue Pädagogische Anthropologie

Die Auf­ga­ben für Lehr­kräf­te stei­gen seit Jah­ren, weil Gesell­schaft und Staat kei­ne Vor­stel­lung mehr haben, wor­auf es ankommt. — Aus Bil­dung ist Aus­bil­dung gewor­den und das vor dem unmensch­li­chen Bild einer “natür­li­chen” Aus­le­se, als leb­ten wir noch im Tierreich.

Die Zahl der Lehr­kräf­te wird immer gerin­ger, weil es kaum noch ein belast­ba­res, posi­ti­ves Men­schen­bild gibt und Über­zeu­gun­gen, dafür auch ein­tre­ten zu kön­nen. — Und die Gesell­schaft gefällt sich dar­in, alles ein­fach nur abzuwälzen.

Im Zuge der Corona–Krise ist deut­lich gewor­den, daß etwas faul ist mit dem mis­an­thro­pi­schen Men­schen­bild. Die Zei­ten sind vor­bei, als reli­giö­se oder poli­ti­sche Ideo­lo­gien noch die Vor­stel­lun­gen von der “Bil­dung des Men­schen­ge­schlechts” beherrsch­ten. Nur der Mis­an­thro­pis­mus ist noch geblieben.

Aber den mie­sen Men­schen­bil­dern kann man bei­kom­men. Es gilt, eine all­ge­mei­ne Rat­lo­sig­keit, die nicht sel­ten in tie­fe Ver­zweif­lung füh­ren, durch neue Zuver­sicht zu überwinden.

Dazu braucht es wie­der ein stand­fe­stes Auf­tre­ten von Phi­lo­so­phen, Erzie­hungs­wis­sen­schaft­le­rin­nen, Päd­ago­gen und Päd­ago­gin­nen. Aber die­se müs­sen sich erst ein­mal ihrer­seits neu über­zeu­gen von der Bedeu­tung ihres Tuns und von der Legi­ti­mi­tät ihrer Professionen.

Zunächst ist in der Päd­ago­gik selbst ein wie­der moti­vie­ren­des Men­schen­bild erfor­der­lich. — Die Theo­rien dazu sind da. Es kommt nun dar­auf an, eine zeit­ge­mä­ße Pra­xis und ein neu­es Selbst­ver­ständ­nis auf die­sen Fun­da­men­ten zu errichten.

Auf das Menschenbild kommt es an

Seit Jah­ren gebe ich Semi­na­re für ange­hen­de Leh­rer und Leh­re­rin­nen am KIT in Karls­ru­he. — Aber jetzt möch­te ich nicht mehr nur exklu­siv dort wir­ken, son­dern Semi­na­re zur Super­vi­si­on, zum Atem­ho­len, Über­le­gen, Nach­den­ken und zu neu­em Mut anbie­ten. Denn mir ist immer wie­der auf­ge­fal­len: Die Moti­vation kann nur von innen kom­men, von einem Men­schen­bild, das von einer inne­ren Wär­me erfüllt ist.

Der vitru­via­ni­sche Mensch
Leo­nar­do da Vin­ci, ca. 1490;
Gal­le­ria dell’ Acca­de­mia, Venedig.

In der Theo­rie gibt es die­se Per­spek­ti­ven bereits seit 1928, als mit der Anthro­po­lo­gi­schen Wen­de die ersten Dis­kur­se auf­ka­men dar­über, wel­che wis­sen­schaft­lich gesi­cher­ten Aus­sa­gen gemacht wer­den kön­nen über das ver­meint­li­che “Wesen des Menschen”.

Damals ent­stand die Anthro­po­lo­gie als trans­dis­zi­pli­nä­rer Dis­kurs über die “Con­di­tio huma­na”. — Inzwi­schen ist dar­aus ein beein­drucken­des Ensem­ble aus einer Viel­zahl aller erdenk­li­cher Wis­sen­schaf­ten aus Natur–, Kul­tur– und Gei­stes­wis­sen­schaf­ten geworden.

In Zwei­fels­fäl­len kön­nen wir die­se Dis­kur­se wie ein Ora­kel anru­fen, um Fra­gen zu beant­wor­ten, deren Ant­wor­ten oft nur vor­ein­ge­nom­men sind. In sol­chen Streit­fra­gen wirkt die Anthro­po­lo­gie wie ein wis­sen­schaft­li­ches Orakel.

Wich­tig ist nicht nur, was aus­ge­sagt wird, son­dern auch wie und auf wel­che Fra­gen wir tat­säch­lich erschöp­fen­de Ant­wor­ten erhal­ten. So läßt sich man­ches sehr klar ent­schei­den, weil es um beleg­ba­re Fak­ten und rekon­stru­ier­ba­re Zusam­men­hän­ge geht, die sich erör­tern lassen.

Aber noch inter­es­san­ter wird es, wenn wir von der Anthro­po­lo­gie gar kei­ne oder nicht erschöp­fen­de Ant­wor­ten erhal­ten, son­dern nur noch die Aus­kunft, es wür­de ein Prin­zip zugrun­de lie­gen. So ist die Ant­wort auf die Fra­ge nach dem Wesen des Men­schen in etwa so zu beant­wor­ten, daß es dar­in liegt, sich selbst zu kul­ti­vie­ren, sich selbst zu “bil­den”. Dann wird deut­lich, wie sehr das mensch­li­che Wesen davon geprägt ist, “offen” zu sein.

Wir sind nicht vor­de­fi­niert wie Tie­re, wir sind zur Frei­heit gebo­ren, was aber auch mit Frei­heits­schmer­zen ver­bun­den ist. — Daher brau­chen wir Men­to­ren in der Funk­ti­on von Heb­am­men, Beglei­tern und Rat­ge­be­rin­nen bereits bei den ersten Schrit­ten und auch spä­ter noch auf dem Weg in eine ganz indi­vi­du­el­le Zukunft, in der es glück­lich macht, sich selbst bei er eige­nen Ent­fal­tung über die Schul­ter zu sehen.

Die “Unbe­stimmt­heit” des mensch­li­chen Wesens ist das, was die “Wür­de des Men­schen” aus­macht. Dar­in liegt das eigent­li­che Geheim­nis des Erfolgs in der Menschheitsgeschichte.
Wir ste­hen auf den Schul­tern von Riesen.