Man will den Esel strafen, schlägt aber den Sack

Über Sexismus und Sprachkritik

Es ist erklä­rungs­be­dürf­tig, was die­ser, zuge­ge­ben nicht ganz tier­lie­be Spruch besa­gen soll. Deut­lich wird, was gemeint ist, anhand der aktu­el­len Debat­ten über Sexismus.
Tat­säch­lich läßt sich ein nicht unwe­sent­li­cher Teil des Sexis­mus anthro­po­lo­gisch auf ani­ma­li­sche Antei­le zurück­füh­ren, die wir noch immer in uns tra­gen. Men­schen sind her­aus­ge­fal­len aus ihrer vor­ma­li­gen Tier-Natur im Para­dies, es ist unser Schick­sal, nie wie­der “ganz” zu wer­den. – Ril­ke sagt über den Menschen,

“und die fin­di­gen Tie­re mer­ken es schon,
daß wir nicht sehr ver­läß­lich zu Haus sind
in der gedeu­te­ten Welt.” (Rai­ner Maria Ril­ke: Dui­ne­ser Elegien.)


Das ist der Preis dafür, Mensch gewor­den zu sein: Daher die vie­len Wider­sprü­che in und zwi­schen uns. Und davon ist der zwi­schen „Kör­per haben“ und „Leib sein“ nur einer von vie­len. – Wir beob­ach­ten uns, oft nicht gera­de freund­lich gestimmt. Auch sind wir nicht ent­we­der das eine oder das ande­re, son­dern mal das eine, mal das ande­re und das zumeist nicht wirk­lich voll und ganz.
Lucas Cra­nach der Älte­re: Para­dies (Aus­schnitt) (1530).
An der Spra­che nun andau­ernd neue Exem­pel wegen Sexis­mus vor­zu­neh­men, ist auch kei­ne Lösung im Umgang mit alle­dem. Genau das besagt offen­bar die­ser Spruch: Der „Esel“ ist also der Sexis­mus, den man­che bestra­fen möch­ten, aber nicht kön­nen. Daher wird die Spra­che, also der „Sack“ geschlagen.
Vie­le die­ser Hypo­the­sen über Spre­chen und Spra­che haben den Tief­gang von Ver­schwö­rungs­theo­rien. Sie geben sich viel zu schnell mit mög­lichst ein­fa­chen Erzäh­lun­gen vom angeb­lich Bösen hin­ter den Kulis­sen zufrieden.
Nichts gegen mehr sprach­li­che Sen­si­bi­li­tät und mehr Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen. Nur das kann hel­fen. Aber das geht nicht auf dem Umweg über Sprech­ver­bo­te, son­dern nur auf dem Umweg über noch mehr, noch bes­se­re Wor­te, noch mehr Neben­sät­ze und nur durch tie­fe­re Dia­lo­ge, in denen die Empa­thie immer mehr zur Ein­füh­lung kom­men kann.
Durch neu errich­te­te Tabus wer­den aus Wider­sprü­chen nur noch grö­ße­re Pro­ble­me, weil auch die­se Aspek­te des Mensch­li­chen ein Recht dar­auf haben, Gehör, Aus­druck und Ver­ständ­nis zu fin­den. – Über die ange­mes­se­ne Form läßt sich aller­dings treff­lich strei­ten. Es war schon immer eine Fra­ge der Kul­tur, zu „kul­ti­vie­ren“, was, wie zum Aus­druck gebracht wer­den kann und auch soll.
Aller­dings hat der all­täg­li­che Sexis­mus auch bio­lo­gi­sche Grund­la­gen, die noch aus dem Tier­reich stam­men. Das kann jede Frau am eige­nen Leib erfah­ren. Spä­te­stens dann, wenn ab einem gewis­sen Alter die begehr­li­chen Blicke sel­te­ner werden.
Und mir als Mann ent­lockt es ein Schmun­zeln über mei­ne eige­ne Tier­na­tur, wenn ich sehe, wie mein Blick „fremd­ge­steu­ert“ wird. Allein vom Klackern höhe­rer Absät­ze geht ein unwi­der­steh­li­cher Reiz aus. Dabei ist den Trä­ge­rIn­nen der rich­ti­ge Klacker­ton offen­bar von Bedeu­tung. Wären die Pumps stumm, blie­ben sie in den Rega­len. – Aber ich muß ja nun nicht die Steue­rung aus der Hand geben. Natür­lich kann Mann sich über die eige­ne Tier­na­tur hinwegsetzen.
Auf “Sexu­el­le Bil­dung” kommt es an, der Weg dort­hin ist aber anspruchs­vol­ler als gedacht. Vor allem geht es dar­um, mög­lichst vie­le sol­cher Wider­sprü­che in ange­mes­se­ne Wor­te zu klei­den. – Wir kön­nen Wei­ne degu­stie­ren und win­den Wor­te zu Gir­lan­den des ereig­nis­rei­chen Geschmacks­ge­sche­hens, aber über Orgas­men reden, über Ero­tik und über die Span­nung die­ser Wider­sprü­che, das kön­nen wir nicht.
Nicht weni­ger, son­dern sehr viel mehr neue Wor­te sind die Lösung. Nicht neue Tabus, nicht die Ein­schrän­kung, son­dern erst die Erwei­te­rung des Aus­drucks­ver­mö­gens ist “Bil­dung”. – Der Baum der Erkennt­nis hat noch vie­le Früch­te, die alle­samt ver­ko­stet wer­den soll­ten. Das “Ver­bo­te­ne” an die­sen Früch­ten besteht aller­dings dar­in, daß es immer auch ein Wag­nis ist, sich zu öff­nen, um sich zu erklä­ren und ein­an­der zu verstehen.
Wich­tig ist jedoch nicht nur Reden, ent­schei­dend ist erst das Ver­ste­hen. – Nur, wo min­de­stens zwei Men­schen bei­sam­men sind und ein­an­der ver­ste­hen, nicht all­ge­mein, son­dern ganz kon­kret in einer ganz bestimm­ten, höchst heik­len Ange­le­gen­heit, dort ist auch der Geist unter ihnen, der die Sicher­heit ver­schaf­fen kann, sich auf­ge­ho­ben zu füh­len, für Momen­te des Glücks.