Ironie in Zeiten Coronas

Wie es ist, Hypochonder zu sein

Ein viel­be­ach­te­ter Auf­satz von Tho­mas Nagel geht der Fra­ge nach, wie es wohl sein wür­de, eine Fle­der­maus zu sein.

Schnell stößt der Autor auf Gren­zen, näm­lich jene, die Lud­wig Witt­gen­stein kon­sta­tiert hat: „Die Gren­zen mei­ner Spra­che, sind die Gren­zen mei­ner Welt“.

Ich war nie son­der­lich ange­tan vom Hype um die­sen Auf­satz von Nagel, denn ich kann­te längst die berüh­ren­den Expe­di­tio­nen in die Wahr­neh­mungs­wel­ten der Tie­re von Jacob von Uex­küll, etwa über die Stu­ben­flie­ge oder, ganz beson­ders „ein­fühl­sam“ über die Zecke. Da hat man näm­lich den Ein­druck, zum besag­ten Tier zu wer­den, weil die Sin­ne redu­ziert wer­den auf das, was noch bleibt: Bei der Zecke ist es ein Geruchs­sinn für But­ter­säu­re, um Säu­ge­tie­re wahr­zu­neh­men und dann noch ein Wär­me­sinn, um dort­hin zu krab­beln, wo war­mes fri­sches Blut fließt.

Auch Nagel kommt auf jene Pro­ble­ma­tik, die hin­ter alle­dem steht, was der Anthro­po­lo­gie Hel­muth Pless­ner ein­mal auf die For­mel gebracht hat vom „Unter­schied zwi­schen Kör­per-Haben und Leib-Sein“. Da gibt es in der Tat eini­ge Dif­fe­ren­zen, da geht eini­ges nicht auf und das liegt nicht an der Phi­lo­so­phie, son­dern es ist selbst phä­no­me­nal, daß und was da nicht auf­geht. — So wird die­ser Tage viel Wert gelegt auf „Acht­sam­keit“, auch als eine Form der Selbst­auf­merk­sam­keit. Aber auch da zeigt sich die­ses Pro­blem, daß wir genau dort, wo es ums Ver­ste­hen die­ser Dif­fe­ren­zen geht, ein­fach nicht nahe genug herankommen.

Wie­viel Selbst­auf­merk­sam­keit ist genug, was wäre zu wenig und was zu viel? Das läßt sich gar nicht beant­wor­ten, weil man dann erst irgend­wo Maß neh­men müß­te. Maß­neh­men woran?

Aber man kann in sol­chen Fäl­len auch mit Extre­men arbei­ten, die selbst etwas Beson­de­res haben im Ver­hält­nis zwi­schen Psy­che und Kör­per, Leib und See­le. So wie es Unauf­merk­sam­keit gibt, so läßt sich auch eine gestei­ger­te Auf­merk­sam­keit beob­ach­ten, die dann irgend­wann etwas viel wird.

Vie­le sind dann schnell mit der Eti­ket­tie­rung bei der Hand, etwas sei „krank­haft“. Das ist so schreck­lich bei Ari­sto­te­les in der von vie­len so geschätz­ten „Niko­ma­chi­schen Ethik“. Als wäre das Mitt­le­re immer die rich­ti­ge Wahl, nie­mals zu viel oder zu wenig, immer in Maßen. Als ob es das wäre.

Ari­sto­te­les konn­te den Epi­gram­ma­ti­ker Fried­rich Frei­herr von Logau (1605–1655) noch nicht ken­nen, des­sen Spruch die unter­be­lich­te­te Ethik spie­lend ad absur­dum füh­ren kann, wie es Dio­ge­nes nicht bes­ser hät­te tun kön­nen: „In Gefahr und gro­ßer Not bringt der Mit­tel­weg den Tod.“ — Und jene selbst­be­ru­fe­nen Men­schen, die mit Urtei­len aus der Hüf­te schie­ßen, um garan­tiert nicht zu tref­fen, sind auch nicht hilf­reich, wenn es heißt, Hypo­chon­drie sei „krank­haft“. Zuge­ge­ben, es ist eine etwas ange­spann­te, ziem­lich per­ma­nen­te Auf­merk­sam­keit, die Fried­rich Nietz­sche dazu gezwun­gen hat, tag­täg­lich den eige­nen Gesund­heits– und Kran­ken­stand in ein eige­nes Tage­buch des Wohl– und eher Unwohl­seins zu schreiben.

Bild: Albrecht Dürer: Selbst­por­trait (1528). Skiz­ze in der er auf ver­grö­ßer­te Milz zeigt.

Wie ist es, Hypo­chon­der zu sein? Das ist die Fra­ge, die nun von beson­de­rem Inter­es­se ist, wegen der Imp­fung, der Per­so­na­lie und der unbe­hol­fe­nen Skan­da­li­sie­rung um Harald Schmidt. Ich hat­te schon vor gerau­mer Zeit dar­über spe­ku­liert, ob er ist oder nicht ist, also „geimpft“. Und es hat mir ein sar­do­ni­sches Ver­gnü­gen berei­tet, dar­über zu spe­ku­lie­ren, daß nun ja wirk­lich zwei Her­zen in sei­ner Brust schla­gen müß­ten. Einer­seits ist das die Angst vor Krank­heit, ande­rer­seits ist da die Angst vor der Imp­fung. — Ja, an alle Wenig­den­ker, das geht auch! Die Phi­lo­so­phie hat sogar einen Namen dafür, es ist eine Apo­rie, eine „Weg­lo­sig­keit“, die eben „ter­ti­um non datur“, ohne ein Drit­tes, also ohne Aus­weg ist. 

Ich bin damals zu dem Schluß gekom­men, er hat nicht und er ist nicht. Rich­tig! Er ist noch immer nicht.

Das kam auf eine köst­lich ver­klau­su­lier­te Wei­se über den Kon­text her­aus. Lustig ist, daß die Impf–Sitten–Wächter das noch immer nicht bemerkt haben. Und natür­lich äußert sich sein Manage­ment zu die­ser Peti­tes­se nicht. Er sei gera­de im Urlaub. Sie wür­den dem begna­de­ten Enter­tai­ner damit ja sei­ne Poin­te und sei­ne Extra–Lektion in Rhe­to­rik ver­mie­sen, die er einer ent­setz­ten Öffent­lich­keit ver­ab­reicht hat.

Noch lusti­ger ist, daß sich nie­mand traut, über Harald Schmidt her­zu­fal­len wie über Sport­ler oder Schau­spie­ler auf eine mit­un­ter ein­fach nur unver­schäm­te Art und Wei­se. Man hät­te es aller­dings mit einem rhe­to­risch gna­den­los Begna­de­ten zu tun. — Hat sich Lau­ter­bach eigent­lich schon zum Impf­sta­tus von Schmidt geäußert?

Das Argu­ment von der „Vor­bild­funk­ti­on von Pro­mi­nen­ten“ lese ich gera­de, oh. Es mag Pro­mi­nen­te geben, deren Beruf es ist, pro­mi­nent zu sein, aber bei Harald Schmidt wäre zu klä­ren, wie es wohl sein mag, Hypo­chon­der zu sein. — Das mag selbst schon wie­der hei­kel erschei­nen, das der­art an die gro­ße Glocke zu hän­gen, hät­te er sich nicht selbst in einer köst­li­chen Steh­greif-Par­odie dar­über lustig gemacht, wie es ist, Hypo­chon­der zu sein.

Aber gewiß ist der Impf­sta­tus pri­vat. Das geht nie­man­den etwas an und genau­so hält er es auch. Dabei sind über­all Iro­nie­si­gna­le aber nur weni­ge checken es. Was sei­nen Impf­sta­tus, die Fra­ge aller Fra­gen betrifft, so müs­se er vor­sich­tig sein, sonst gäbe es etwas auf den Alu­hut und dann kommt die ver­schmitzt zurecht­ge­leg­te For­mel im Wort­laut des Scholzo­ma­ten, er sei auf dem besten Wege zu 2G. — Köstlich!

Aber fast alles irr­lich­tert in der gar nicht mehr so frei­heit­li­chen Repu­blik. Man­che möch­ten sich gern dar­über sehr erre­gen, daß er dann auch noch Wit­ze über Coro­na macht.

Nur weni­ge sind nicht her­ein­ge­fal­len und haben sich nicht vor­füh­ren las­sen im Nicht­den­ken. In der Welt vom 7. Janu­ar kon­sta­tiert Mla­den Gla­dić den gei­sti­gen Niveau­ver­fall unter dem Titel: „Harald Schmidt und sein Impf­sta­tus“. Köst­lich, weil sich da einer ein­schwingt in den Sound. — Phi­lo­so­phie­ren ist eben wie Jazz, man soll­te den Ein­satz nicht ver­pas­sen und impro­vi­sie­ren kön­nen. Und zu Recht wird moniert, daß unse­re Gegen­wart kaum noch fähig ist, sich auf die­sen Sound einzulassen:

„Ich bin auf einem guten und ver­nünf­ti­gen Weg, 2G zu erfül­len“, sagt Harald Schmidt in einem Inter­view. Und alles rät­selt: Ist Schmidt unge­impft, gar Impf­geg­ner? War­um unse­re Gegen­wart kaum noch fähig ist, sich auf den Schmidt–Sound ein­zu­las­sen. Und was die Sät­ze des Ex–Talkers signalisieren.

Im jüng­sten Inter­view mit Harald Schmidt in der „Neu­en Zür­cher Zei­tung“ bemerkt sein Gesprächs­part­ner gleich am Anfang: „Wir dür­fen uns nicht im Hotel tref­fen, weil Sie weder geimpft noch gene­sen sind.“ Schmidts Ant­wort: „Daß ich nicht geimpft sei, das behaup­ten Sie ein­fach so, und ich las­se das mal so ste­hen. Mitt­ler­wei­le habe ich mir eine Olaf–Scholz-Formulierung über­legt: ‚Ich bin auf einem guten und ver­nünf­ti­gen Weg, 2G zu erfül­len.’ Das läßt alles offen. Mehr möch­te ich dazu nicht sagen, sonst gibt’s schnell was auf den Alu­hut.“ Eine Ant­wort, die uns merk­lich über­for­dert und prompt der Skan­da­li­sie­rung anheim­ge­fal­len ist.

Alles hat auch eine ande­re Sei­te, die meist nicht gese­hen wer­den soll, das gilt für das Rau­chen, eben­so wie für Hypo­chon­drie. Die erhöh­te Auf­merk­sam­keit auf Dif­fe­ren­zen zwi­schen Leib und See­le, Psy­che und Kör­per sorgt auch für ein hohes Niveau einer Acht­sam­keit, die ein Enter­tai­ner wie Schmidt stets mit einer gewis­sen Leich­tig­keit bewie­sen hat. Schön waren immer die Pas­sa­gen, in denen er hat durch­blicken las­sen, wie er es macht. Zum Bei­spiel die Lacher, von denen es wel­che gäbe, die Grenz­wer­tig­keit signa­li­sie­ren. — Ich schlie­ße dar­aus, daß die erhöh­te Auf­merk­sam­keit sich sonst­wo­hin aus­ge­dehnt hat, Befind­lich­kei­ten wahr­neh­men zu kön­nen, die auch dem Intel­lekt bei alle­dem Freu­de berei­ten, eine, die ganz gern auch mal die vor­füh­ren, die ande­re immer­zu vor­füh­ren, in dem Glau­ben, sie hät­ten die Moral für sich gepach­tet. Den­ken bräuch­te es nicht, wenn man ohne­hin schon im Recht ist. 

Übri­gens, schon mal vom “Mor­bus Goog­le” gehört, auch die Hypo­chon­drie geht mit der Zeit als Cyber­chon­drie. — Mei­ne per­sön­li­che Erfah­rung ist, daß sich vie­les aufs erste Mal goo­geln läßt aber nicht das, was Ärz­ten regel­mä­ßig auf Par­tys wider­fährt, wenn sie sich als eben­sol­che outen. Sogleich rob­ben sich man­che her­aus, nut­zen die Gele­gen­heit, machen sich schon mal ein wenig frei und wei­sen dann auf sich selbst, sie hät­ten da so ein Zie­hen, manch­mal auch ein Stechen.

Ich woll­te mal Heil­prak­ti­ker wer­den, war schon im Stan­dard­kurs an der Uni in Mün­ster: “Phy­sio­lo­gie für Psy­cho­lo­gen”. Bis ich dann gemerkt habe, daß ich mit man­chen Kran­ken nicht klar­kom­me. Jetzt bin ich es nur so neben­her und das erleich­tert sehr.