Der Staat als Pate

Sind Sie mit einer freiwilligen Impfpflicht einverstanden?

Über ein Angebot, das niemand ablehnen soll

Gleich nach dem Stu­di­um hat­te ich einen Lehr­auf­trag an der Fach­hoch­schu­le für öffent­li­che Ver­wal­tung in Dort­mund: „Ethik für Poli­zei-Beam­te“. Das ist Pflicht­pro­gramm vor dem Hin­ter­grund der Gleich­schal­tung in Nazideutschland.
Ich habe dort viel erfah­ren über das Innen­le­ben der Poli­zei. Einer­seits wach­sam in der Kon­trol­le mit Argus­au­gen, ande­rer­seits der per­ma­nen­te Wunsch, Gren­zen zu über­tre­ten, wohl weil der stän­di­ge Druck zu groß ist. Also, man benahm sich pro­vo­kant, woll­te den star­ken Macho–Mann geben und kei­ne Schwä­che zei­gen. Daß kei­ne Papier­flie­ger auf­stie­gen, war alles. Dort waren kei­ne Frau­en dar­un­ter, die Luft war also ziem­lich würzig.
Damals spür­te ich, wie es intern zugeht bei denen, die weni­ge Jah­re zuvor in der RAF-Raster­fahn­dung mich immer raus­ge­wun­ken haben, mit mei­nen lan­gen Haa­ren, dem klapp­ri­gem R4 mit Achs­scha­den und Hip­pie­be­ma­lung, um mich zu kon­trol­lie­ren mit Maschi­nen­ge­wehr im Rücken. Das ist eine selt­sa­me Form der Prominenz.
Aber wie und wer sind die, die eine sol­che Per­for­mance auf Befehl lie­fern, wenn “der” Staat, also die, die sich für “den” Staat hal­ten und das Sagen haben, mei­nen, “der” Staat müs­se mal zei­gen, wo der Frosch die Locken hat und der Bartel den Most holt.
Der Pate (Ori­gi­nal­ti­tel: The God­fa­ther) ist ein US-ame­ri­ka­ni­scher Mafia­film aus dem Jahr 1972 von Fran­cis Ford Cop­po­la, basie­rend auf dem gleich­na­mi­gen Roman von Mario Puzo, der gemein­sam mit Cop­po­la auch das Dreh­buch ver­fass­te. Der Film mit Mar­lon Bran­do und Al Paci­no in den Haupt­rol­len war für elf Oscars nomi­niert, von denen er drei gewann. Der Pate zählt zu den künst­le­risch bedeu­tend­sten Wer­ken der Filmgeschichte.
Intern herrscht eine unge­heu­er­li­che Dis­zi­pli­nie­rungs­kul­tur. Sobald in den Semi­na­ren einer „aus­scher­te“ und irgend­ein Ver­ständ­nis für Min­der­hei­ten zum Aus­druck brach­te, fiel die Grup­pe augen­blick­lich über ihn her: Ach, so einer bist Du also?!
Empa­thie und alles “Wei­che”, gewis­ser­ma­ßen Unmänn­li­che war ein Aus­druck von Schwä­che. Es ging zu wie im Schwa­ben­land, wo vie­le in der schwä­bi­schen Frei­kir­che sozia­li­siert wur­den und sich einen ähn­li­chen Schliff ein­ge­fan­gen haben. So wur­den die­se über­aus wach­sa­me Mit­men­schen dres­siert, eif­rig in höhe­rem Auf­trag augen­blick­lich dabei zu stö­ren, falls einer sich mal ver­ges­sen haben und irgend­wie ver­träumt und selbst­ver­ges­sen in Glücks­mo­men­ten schwel­gen soll­te. Wenn man von die­sen Mit­men­schen erwischt wird beim Mensch­sein, dann füh­ren sie einen augen­blick­lich zurück auf den rich­ti­gen Weg des Unwohl­seins im Sein.
Eine älte­re Dame im mün­ster­län­di­schen Wall­fahrts­ort Telg­te erklär­te mir mal: “Der Herr­gott hat uns ja auch nicht erschaf­fen, damit wir es uns hier unten gut gehen las­sen!” — Das ist phi­lo­so­phisch gar nicht so leicht zu kon­tern, denn man müß­te dann mit dem Ter­mi­nus “Herr­gott” eini­ger­ma­ßen ver­siert umge­hen kön­nen. Heu­te wür­de ich es mir zutrau­en, aber damals war ich höf­lich sprachlos.
Ähn­li­ches muß ich den poli­zei­li­chen Anwär­tern auf den höhe­ren Dienst auch zuge­ste­hen, daß sie mich ent­waff­net haben mit dem Bekennt­nis: „Immer müs­sen wir dort­hin, wo alle ande­ren weg­lau­fen”. — Ja, das ist der Job, und für nicht weni­ge ist genau das sogar Beru­fung. Sie haben mei­nen Respekt, wirklich.
Tat­säch­lich sind Poli­zei­be­am­te bei ihrer Berufs­wahl ähn­lich moti­viert wie Leh­rer. Es sind Idea­le im Spiel, aber Poli­zi­sten bekom­men es rich­tig dicke auf die Müt­ze, wäh­rend es für Leh­rer bei wei­tem nicht so bela­stend ist, weil man vie­les per­sön­lich gestal­ten kann. Aber genau das möch­te man von der Poli­zei gera­de nicht, daß sie per­sön­lich was gestaltet.
Vor die­sem Hin­ter­grund ist es auch amü­sant für mich, in eine Ver­kehrs-Kon­trol­le zu gera­ten, weil ich noch immer wie ein Leh­rer emp­fin­de. Und wenn dann ein Beam­ter mich fragt: „Sind Sie mit einem frei­wil­li­gen Atem­test zur Alko­hol­kon­trol­le ein­ver­stan­den?“, dann bekommt er von mir einen sokra­ti­schen Dia­log, das bin ich ihm und mir schuldig.
Was denn dar­an frei­wil­lig sei, will ich wis­sen. Der Beam­te wie­der­holt, ich hät­te doch die Wahl!? Was denn wäre, wür­de ich mich nicht ein­ver­stan­den erklä­ren, fra­ge ich zurück. Dann müß­te ich mit auf die Wache, wo mir auch mit kör­per­li­cher Gewalt das Blut für einen Alko­hol­test abge­nom­men wür­de. Was denn dar­an frei­wil­lig sei, fra­ge ich zurück. Er wie­der­holt nur, ver­steht nicht oder will nicht verstehen.
Ich sage ihm, das sei kei­ne Frei­wil­lig­keit. Ich wür­de ihm das jetzt mal vor Augen füh­ren und zwar am Bei­spiel sei­ner dane­ben­ste­hen­den Kol­le­gin. Wenn ich sei­ne Kol­le­gin als Frau fra­gen wür­de, ob sie mit einer frei­wil­li­gen kör­per­li­chen Nähe ein­ver­stan­den wäre, weil ich anson­sten ande­re Mit­tel ein­set­zen wür­de, was das wohl wäre: Nöti­gung durch Andro­hung von Gewalt min­de­stens, wenn nicht mehr. – Er habe jetzt kei­ne Zeit, sagt der Beam­te und geht.
Lau­ter­bach hat für die Nahe­le­gung einer „frei­wil­li­gen Impf­licht” eine ähn­li­che rhe­to­ri­sche Figur gewählt, die selbst­ver­ständ­lich von Sokra­tes in den höch­sten Tönen als der Weis­heit letz­ter Schluß gelobt wür­de. Das geht immer so, wenn er wie­der mal schwer beein­druckt ist. Wehe dem, wer so einen Bock gescho­ßen hat, denn man wird dann vor aller Augen rhe­to­risch geteert und gefedert.
Es beginnt damit, auf eine viel zu lau­te, unmög­li­che, ja uner­träg­li­che Wei­se über den grü­nen Klee gelobt zu wer­den. — Die­se Gegen­fi­gur wird als Hyper­bel bezeich­net, das ist die Keim­zel­le ver­nich­ten­der Iro­nie im Gewan­de des Lob­ge­sangs, der nur eine Rich­tung kennt, nach oben, höher und höher des Lobes voll – und dann im Sturz­flug run­ter, direkt auf den Boden der Tatsachen.
Auch in der Musik funk­tio­niert das her­vor­ra­gend. Jimi Hen­drix prä­sen­tier­te auf dem Festi­val in Wood­stock von 1969 eine ver­zerrt dröh­nen­de, mit mar­tia­li­schen Bom­ber– und Maschi­nen­ge­wehr­sal­ven durch­setz­te, als­bald welt­be­kann­te Inter­pre­ta­ti­on der US-Natio­nal­hym­ne “The Star-Span­gled Ban­ner”. Er hob sie hoch und höher, um sie fal­len zu las­sen wie einen Bom­ber, der im Sturz­flug zum Angriff über­geht. Ver­blüf­fend deut­lich sind Flie­ger­an­grif­fe und Geschoß­ein­schlä­ge zu hören, Vietnam.
Die frei­wil­li­ge Impf­pflicht als der Weis­heit letz­te Schluß von Lau­ter­bach wür­de Sokra­tes gewiß hoch über alles heben, um die­se absur­de The­se dann umso tie­fer abstür­zen zu las­sen. Natür­lich ist es lächer­lich, weil Lau­ter­bach gar nicht ver­steht, was der Unter­schied zwi­schen Kör­per und Leib ist, eben­so­we­nig wie der Poli­zist, der nun ein­mal im stäh­ler­nen Gehäu­se der Hörig­keit sei­ner Dienst­pflich­ten lebt.
Die­ser Zwang zum frei­wil­li­gen Selbst­zwang hat nicht nur etwas von einer Ver­ge­wal­ti­gung, es ist eine. Und der Täter ist der Staat. Und der Staat ist ein Schlä­ger, einer, der hun­dert­mal schon ver­si­chert hat, er wol­le sich bes­sern und hät­te schon man­che The­ra­pie­sit­zung absol­viert, sich nicht wie­der in der Gewalt zu ver­grei­fen an der Gesell­schaft. Aber dann ist er doch bei der näch­sten Gele­gen­heit wie­der rück­fäl­lig geworden.
Das alles läßt sich demon­strie­ren, ich habe dar­über Bücher geschrie­ben. Aber es berei­tet auch Freu­de, sich dar­über lustig zu machen, über so etwas Ehren­wer­tes wie die ehren­wer­te Gesell­schaft, die der Staat letzt­end­lich ist.
Das läßt nicht von unge­fähr an einen zeit­lo­sen US-ame­ri­ka­ni­schen Mafia­film aus dem Jahr 1972 von Fran­cis Ford Cop­po­la den­ken, mit Mar­lon Bran­do, über­wäl­ti­gend in der Rol­le des Vito Cor­leo­ne, als der Pate (Ori­gi­nal­ti­tel: The God­fa­ther). — Aber ja doch, Mafia. Das Pro­blem ist, daß der Staat von Hau­se aus selbst nichts ande­res als “Mafia” ist, höchst ehren­wert ver­steht sich, nur daß es eben nicht bei­des zugleich geben kann.
Wenn Staat, dann nur in Ket­ten wie ein Unge­heu­er. Das bedeu­tet Gewal­ten­tei­lung, Balan­ce of Power und ist so gemeint, daß die eine Gewalt der ande­ren bit­te­schön nicht ein­mal die Wurst auf dem Brot gön­nen soll­te. Da möch­te man nun wirk­lich nicht von Bun­des­ver­fas­sungs­rich­tern hören, die zum Din­ner ins Kanz­ler­amt fah­ren, um sich dort, ja was eigent­lich, wohl zu füh­len oder geehrt oder geach­tet? Da lobe ich mir die Polizisten.
Unüber­trof­fen der Spruch des Paten: Man mache ihnen ein Ange­bot, das sie nicht ableh­nen können.
Das läßt mich wie­der an mei­ne freund­lich gemein­te, hypo­the­ti­sche Avan­ce der Poli­zi­stin gegen­über den­ken, mir gefäl­lig zu sein. 
Wie lau­tet der Spruch? — Du willst es doch auch!
Frei­wil­lig? Aus eige­nem Antrieb?
Weil sie sel­ber es will?
Es gibt einen Unter­schied zwi­schen “Kör­per haben und Leib sein”, sagt Hel­muth Plessner.
Und ich sage, daß ich der Sou­ve­rän bin in die­sem inti­men Raum zwi­schen mei­nem Leib und mei­ner See­le, alles ande­re ist Vergewaltigung.