• Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Ethik,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Leib,  Lüge,  Moderne,  Moral,  Philosophie,  Platon,  Psyche,  Psychosophie,  Schuld,  Seele,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Wahrheit,  Zeitgeist

    ‘Habitus’ bedeutet Charakter

    Bildung braucht eine Grundlage

    Ich habe noch immer den Ein­druck, seit Beginn der Corona–Hysterie in einem Par­al­lel­uni­ver­sum gelan­det zu sein.

    Im Nach­gang ver­schie­ben sich die Bewer­tun­gen die­ser Panther–Zeit, in der man die Git­ter­stä­be der Angst–und–Moral–Republik stän­dig vor Augen hat­te. — Viel zu vie­le haben sich in die­sen Jah­ren um Kopf und Kra­gen geredet.

    Aber mei­ne Bewer­tun­gen die­ser Mas­sen­psy­cho­se ver­schie­ben sich inzwi­schen nicht mehr so stark, und ich muß zuge­ben: Das Resul­tat die­ser kol­lek­ti­ven Angst­kam­pa­gne war für mich ver­hee­rend, denn ich muß­te einen Gut­teil mei­nes Idea­lis­mus aufgeben.

    Mei­ne Ent­täu­schung über den kol­lek­ti­ven Ver­rat an Wer­ten wie Frei­heit, Tole­ranz, Mei­nungs­frei­heit, Selbst­be­stim­mung und Wür­de, hat mich zutiefst ver­stört. Das hät­te ich nicht für mög­lich gehalten!

    Aber die Panter–Zeit hat­te auch ihr Gutes, wir haben alle das Zoo­men erlernt, konn­ten ein­an­der tief in die See­le schau­en und haben gese­hen, mit wem wir es wirk­lich zu tun haben.

    Und die Dia­gno­se fällt kri­tisch aus: Den mei­sten fehlt so etwas wie Per­sön­lich­keit, was der fran­zö­si­sche Sozio­lo­ge Pierre Bour­dieu in sei­ner Theo­rie “Die fei­nen Unter­schie­de” als “Habi­tus” bezeich­net, beschrie­ben und näher aus­ge­führt hat.

    Ich hät­te es wis­sen kön­nen, weil ich ihn schon im Stu­di­um gele­sen und mir zu Her­zen genom­men hat­te. Aber ich woll­te nicht, daß der Gro­schen auch fällt, wohl aus Idea­lis­mus woll­te ich es nicht.

    Das Erzie­hungs­ziel einer “Bil­dung der Per­sön­lich­keit” ist und bleibt eli­tär, weil es um einen Habi­tus geht, den man sich auch her­aus­neh­men kön­nen muß. — Man­che neh­men sich das ein­fach her­aus, wenn und weil es ja nun mal “stan­des­ge­mäß” für sie ist.

    Ande­re ste­hen sich selbst dabei bereits auf der Lei­tung und noch ande­re, die Viel­zahl der nicht­den­ken­den Mit­men­schen, sieht das Pro­blem nicht einmal.

    “Gebt dem Volk Brot uns Spie­le”. Ja, den mei­sten Zeit­ge­nos­sen man­gelt es nicht nur an Selbst­be­wußt­sein, Selbst­be­stim­mungs– und Selbst­ori­en­tie­rungs­ver­mö­gen, sie haben auch kei­nen Zugang zu ihrem eige­nen Leib. Sie sehen nur den Kör­per, den sie dann checken, bear­bei­ten oder auch repa­rie­ren lassen.

    Der Unter­schied besteht eben, wie Hel­muth Pless­ner gesagt hat, “zwi­schen Kör­per haben und Leib sein”. — Daher las­sen sich die Vie­len auch so tief verängstigen.

    Franz von Stuck: Til­la Durieux als Cir­ce, 1931.

    Sie sehen nur ihren Kör­per und ihre Psy­che, sehen aber nicht auch den Geist, den Leib und die See­le. Sie wol­len auch nur Sex und kei­ne Ero­tik. — Ach, es ist erbärmlich.

    „Der Mensch will über den Men­schen hin­aus“, — eigent­lich ja. Man den­ke doch nur an Pla­ton und Nietz­sche, die das so ein­drucks­voll und ein­dring­lich vor Augen geführt haben.

    Aber vie­le fol­gen nicht ihrer See­le, son­dern nur den viel zu ober­fläch­li­chen Inter­es­sen einer Psy­che, die “Haben mit Sein” mit­ein­an­der ver­wech­selt. Viel zu vie­le las­sen sich bereit­wil­lig lei­ten von den ästhetisch–moralischen Kon­sum­wel­ten der angeb­lich „Schö­nen und Reichen“.

    Wenn dar­in ganz offen­bar die aller­mei­sten Zeit­ge­nos­sen ihre Lebens­zie­le sehen und sogar fin­den, dann kann ich sie nicht mehr ernst nehmen.

    Als ich vor lan­ger Zeit noch Ethik–Unterricht für Poli­zei­be­am­te an der FH für öffent­li­che Ver­wal­tung in Dort­mund gab, hat­te ich irgend­wann bereits die­ses Kon­zept für mich als Arbeits­grund­la­ge: Ich hole die Men­schen ab, wo sie ste­hen, aber ich fah­re nicht bis unter die Erde!

    Wer unter­ir­disch ist und es auch sein und blei­ben will, soll es sich wohl erge­hen las­sen in der Höh­le. Und kein Phi­lo­soph wird sie bei ihren hei­li­gen Hand­lun­gen in der Kon­sum­höl­le stören.

    Die Basis für einen eige­nen Habi­tus, so daß man selbst­ver­ständ­lich einen Men­schen ernst neh­men kann, muß sich schon jeder selbst schaf­fen. — Die See­le macht das Spiel.

  • Anthropologie,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Ethik,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Kunst,  Künstler,  Leib,  Lüge,  Moral,  Philosophie,  Platon,  Politik,  Professionalität,  Psyche,  Psychosophie,  Schönheit,  Schuld,  Seele,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Wahrheit,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist

    Ich weiß, daß ich nichts weiß

    Über Urteilsvermögen im Umgang mit Nichtwissen

    Wer kennt die­se Selbst­aus­sa­ge nicht. – Aber wer hat wirk­lich ver­stan­den, was sie bedeu­tet? Ja, die Sen­tenz stammt von Sokra­tes und die mei­sten machen es sich zu leicht, wenn sie anneh­men, daß es Aus­druck sei­ner Beschei­den­heit ist. Irrtum!

    Sokra­tes ist ganz und gar nicht beschei­den, er will immer alles ganz genau wis­sen und geht dann bis an die Gren­zen des­sen, was über­haupt noch mög­lich ist. Nicht sel­ten steht er dann da, wie einst Keith Jar­rett bei einem Kon­zert in Ham­burg. – Der Flow kam ein­fach nicht und man kann ja nun die Göt­ter nicht zwin­gen, wenn sie offen­kun­dig ganz woan­ders was bes­se­res zu tun haben.

    Also hat er sich red­lich bemüht, ist dann auf­ge­stan­den und hat sich direkt ans Publi­kum gewandt mit der Fra­ge: “Ist hier ein Pia­nist, der das Kon­zert fort­set­zen kann?”

    In sol­chen Situa­tio­nen nei­gen die mei­sten Zeit­ge­nos­sen dazu, ins Glau­ben zu sprin­gen. Man gibt die Steue­rung aus der Hand und schal­tet das Den­ken auf Auto­pi­lot. Aber in Wahr­heit weiß man doch gar nicht, wo es hin­ge­hen soll. Und beur­tei­len, was man denn nun anneh­men oder gar glau­ben soll­te, kön­nen die wenig­sten, weil es ihnen an Urteils­fä­hig­keit fehlt.

    Will­kür­li­che Moti­ve, die mit der Sache selbst kaum etwas zu tun haben, spie­len dann immer her­ein. Aber der eigent­li­che Grund für die­ses Ein­knicken vor den Risi­ken der See­fahrt im Den­ken liegt woan­ders: Man kann das eige­ne Den­ken nicht in der Schwe­be halten!

    Und dann wird der Main­stream bemüht, man schließt sich irgend­ei­ner herr­schen­den Mei­nung an, die zuvor von den Alpha­tie­ren unter den Mei­nungs­ma­chern bei Twit­ter aus­ge­kas­pert wor­den ist. Dank­bar wird das dann von kar­rie­re­be­flis­se­nen Nach­wuchs­kräf­ten auf­ge­grif­fen und exe­ku­tiert. Alle, die jetzt noch anders den­ken, sol­len ent­we­der schwei­gen oder sie wer­den exkom­mu­ni­ziert. – Wo kämen wir hin mit der herr­schen­den Mei­nung, wenn jeder selbst den­ken wollte?

    Die wenig­sten Zeit­ge­nos­sen sind wil­lens und in der Lage, die eige­nen Gedan­ken in der Schwe­be zu hal­ten, um dann auch noch sank­tio­niert zu wer­den von Bes­ser­wis­sern und vor allem von Bes­ser­men­schen. – Und den­noch hat sich da eine neue Iden­ti­tät her­aus­ge­bil­det, es ist die derer, die dem Druck beacht­li­cher­wei­se stand­ge­hal­ten haben. Es sind die, die sich haben ver­un­glimp­fen las­sen, die sich tag­täg­lich haben “frei­te­sten” las­sen müs­sen, um noch ihrer Arbeit und ihren Ver­pflich­tun­gen nach­ge­hen zu können.

    “Zeit der Abrech­nung”, das klingt wie der Titel für einen schlech­ten Western. Wobei ich aller­dings zuge­ste­hen muß, daß mir ein wenig danach ist, Abrech­nung. – Die Dop­pel­mo­ral, sich einer­seits zu ver­bie­gen, weil man doch schon zeit­le­bens ein Häk­chen hat­te wer­den wol­len, um dann dop­pelt zu kas­sie­ren, ist gera­de­zu skan­da­lös. Einer­seits war man ja so etwas von vor­bild­lich des “klei­nen Pik­sens” wegen und ande­rer­seits wur­de man auch noch belohnt, durf­te wie­der ins Restau­rant und in den Urlaub flie­gen, wäh­rend Son­der­lin­ge wie ich nicht ein­mal mehr in den Bau­markt gehen durf­ten, um sich wenig­stens etwas zum Basteln zu holen.

    Ja, ich möch­te Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, bevor ich über­haupt wie­der bereit bin, mich mit denen zu ver­stän­di­gen, die aus ihrem Her­zen eine Mör­der­gru­be gemacht haben.

    Ich will mir jetzt von den Impf­vor­dräng­lern nicht auch noch erklä­ren las­sen, daß ich nicht nur Impf­skep­ti­ker bin, son­dern auch noch Putin­ver­ste­her, wenn ich auf die Ver­ant­wor­tung des Westens unter der ego­ma­ni­schen Füh­rung der USA hin­zu­wei­sen nicht müde wer­de. – Die rhe­to­ri­schen Figu­ren sind die­sel­ben, man ist dann ein Leug­ner, der angeb­lich aus­ge­grenzt gehört. In den Augen der Über­an­ge­paß­ten ist Ver­ste­hen nun­mehr zur Sün­de geworden.

    Ich habe früh­zei­tig öffent­lich davor gewarnt, daß sich die Erwach­se­nen in ihrer pani­schen Angst nicht auch an Kin­dern, Jugend­li­chen und an alten und ster­ben­den Men­schen ver­grei­fen dür­fen. Aber die Angst hat vie­le ermäch­tigt, gewis­ser­ma­ßen über Lei­chen zu gehen. – Und jetzt will es wie­der mal kei­ner gewe­sen sein. Die Ver­tre­ter der Ethik-Kom­mis­si­on, die Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter und die Rie­ge der Scharf­ma­cher und Haß­pre­di­ger zucken ein­fach nur mit den Schul­tern und möch­ten nicht mehr dar­an erin­nert wer­den. Shit happens?

    Sor­ry, als es mir zu dumm wur­de, habe ich sei­ner­zeit schon zwi­schen Nicht­den­kern und Selbst­den­kern unter­schie­den. Und nicht sel­ten ging es mir in der Coro­na-Zeit, hin­ter den Git­ter­stä­ben des Lock­down-Syn­droms, wie dem Pan­ther von Ril­ke und wie Keith Jar­rett im miß­lun­ge­nen Kon­zert von Hamburg.

    Über dem Ein­gang zur Aka­de­mie von Pla­ton in Athen soll der Spruch gestan­den haben, es möge nie­mand ein­tre­ten, der nichts von Mathe­ma­tik ver­stün­de, was damals eher eine durch­aus anschau­li­che Geo­me­trie war. – Mein Prin­zip habe ich bei Hans Blu­men­berg gefun­den, der davon sprach, daß man den Augen­hin­ter­grund spie­geln soll­te, um zu sehen, wor­auf ande­re wirk­lich Wert legen.

    Es ist ja nun nicht so, daß nicht ein und der­sel­be Gedan­ke immer wie­der, in allen erdenk­li­chen Dar­rei­chungs­for­men gebo­ten wor­den ist. Hier etwa bei Fran­kie Goes to Hollywood:

    “Relax, don′t do it
    When you wan­na go do it
    Relax, don’t do it
    When you wan­na come”

    In mei­nen Semi­na­ren for­de­re ich dazu auf, auch stei­le The­sen zu ver­tre­ten. Die Kunst liegt schließ­lich dar­in, mög­lichst genau in Erfah­rung zu brin­gen, wann eine Theo­rie kol­la­biert. Nicht weni­ge bre­chen bereits an ihrem eige­nen Gewicht in sich zusam­men, man muß sie nicht ein­mal schief anschauen.

    Dann gibt es wel­che, die unter Bela­stung erstaun­lich lan­ge hal­ten, wor­auf ich dann aber den Mei­ster­test mache, ob eine hoch­mö­gen­de Auf­fas­sung auch in der Lage ist, sich selbst zu ertra­gen. – Eine gute Theo­rie soll­te fähig sein, “neben sich” auch noch ganz ande­re, womög­lich kon­kur­rie­ren­de Auf­fas­sung tole­rie­ren und mit ins Gespräch zie­hen zu können.

    Wenn eine Theo­rie die das nicht kann, weil deren Ver­tre­ter zumeist der­art über­zeugt sind von ihrer “Alter­na­tiv­lo­sig­keit”, dann dis­qua­li­fi­zie­ren sie sich selbst, denn das ist unphi­lo­so­phisch und nicht sel­ten auch unmo­ra­lisch. – Sokra­tes war gera­de nicht beschei­den, ganz im Gegen­teil. Die ande­ren, haben ihn zum Tode ver­ur­teilt, weil sie das Phi­lo­so­phie­ren nicht mehr ertru­gen, weil sie nicht wei­ter­hin bei ihren Dumm­hei­ten öffent­lich über­führt wer­den mochten.

    Sokra­tes glaubt den Prie­stern des Ora­kels nicht, weil er es doch bes­ser von sich weiß, weil er weiß, daß er nichts weiß. – Dar­auf beginnt er sei­ne Kam­pa­gne, mit der er sich in den Augen der Hono­ra­tio­ren unmög­lich macht, wenn er sie der Rei­he nach alle vor­führt. – Ich habe schon oft dar­über nach­ge­dacht, ob es nicht auch ein geschick­tes Manö­ver der Prie­ster von Del­phi gewe­sen sein könn­te, dafür zu sor­gen, daß Sokra­tes sich selbst unmög­lich zu machen beginnt.

    Mark Anto­kol­ski: Death of Socra­tes, 1875.

    Ich stel­le mir vor, wie Sokra­tes in sei­ner gan­zen Bar­fü­ßig­keit an einer Sei­te die Ago­ra betritt und auf der ande­ren Sei­te die gefühlt Wis­sen­den flucht­ar­tig das Wei­te suchen. Wer nicht schnell genug ist, wird sich einem Gespräch stel­len müs­sen, das eigent­lich nicht dazu dient, den ande­ren nur vor­zu­füh­ren, denn das machen die Bes­ser­wis­ser schon selbst.

    Ihr Feh­ler ist kar­di­nal, sie mei­nen, daß man die­ses und jenes wirk­lich so ver­bind­lich und ein­deu­tig wis­sen kön­ne, so daß man rich­ten kann über ande­re, die eben nicht “rich­tig” den­ken. – Genau die­se hoch­mö­gen­den Zeit­ge­nos­sen wer­den jetzt aber vor­ge­führt, indem ihnen die Gele­gen­heit gege­ben wird, sich selbst vorzuführen.

    Aber es geht dabei kei­nes­wegs um eine Kampf, wie so vie­le noch immer mei­nen. Als wäre Phi­lo­so­phie so etwas wie eine Lust am Schar­müt­zel, wobei es dar­auf ankä­me, ande­re der­art in Ver­le­gen­heit zu brin­gen, so daß sie “nichts mehr sagen kön­nen”. – Ein wirk­li­cher phi­lo­so­phi­scher Dia­log hat dage­gen immer etwas Kon­sen­su­el­les. Man spricht gemein­sam etwas an und ent­wickelt dann auch gemein­sam wei­ter­ge­hen­des Denken.

    Dabei wird es aber immer kom­ple­xer, weil wir ganz all­mäh­lich gemein­sam immer mehr sehen und “ein­se­hen”, was auch auf irgend­ei­ne Wei­se rele­vant sein dürf­te. – Genau das aber hal­ten die wenig­sten aus. Sie glau­ben ernst­haft, am Ende käme immer nur die ein­zi­ge, unteil­ba­re, wis­sen­schaft­lich-wis­sen­schaft­li­che Wahr­heit über die wirk­lich wirk­li­che Wirk­lich­keit dabei her­aus. Und alle hät­ten sich nun die­ser ein­zi­gen Wahr­heit wie beim Göt­zen­dienst zu unterwerfen.

    Gera­de die­se Zeit­ge­nos­sen haben sich gehen las­sen wäh­rend der blei­er­nen Zeit. Man konn­te mal wie­der so rich­tig einer ein­zig rich­ti­gen Auf­fas­sung sein und end­lich auch mal wie­der den Block­wart geben. Ich habe mich gern von man­chen Men­schen getrennt in die­ser Zeit, weil ich gese­hen habe, daß sie mir auch bis­her eigent­lich immer nur mei­ne Denk­zeit gestoh­len und die Musen ver­grault haben.

    Die ganz gro­ße Feig­heit kam bei denen hin­zu, die sich in die Schwei­ge­spi­ra­le zurück­ge­zo­gen haben, und rein gar nichts mehr kund getan haben. Sie haben ihr Süpp­chen im Stil­len gekocht. – Aber auch sie sind mit ver­ant­wort­lich für de Irr­sinn, in den sich ein Groß­teil der Gesell­schaft vor allem in Deutsch­land hat von einer Pres­se trei­ben las­sen, die sich plötz­lich wie die Hei­li­ge Inqui­si­ti­on auf­ge­führt hat. – Ja, und jetzt kommt die Abrech­nung, wenn die unse­li­gen Unsäg­lich­kei­ten aus den Pro­to­kol­len der Pan­ther­zeit wie­der zum Besten gege­ben wer­den. Im Nach­hin­ein klingt das alles noch schau­der­haf­ter, so daß man sich fra­gen möch­te, wie sehr wol­len eigent­lich die, die sich da so haben gehen las­sen, mit ihrem Scham­emp­fin­den klar kommen?

    Sie haben sich ver­füh­ren, in ihrer ein­ge­bil­de­ten Gewiß­heit zu wis­sen, was sie nicht wis­sen kön­nen, und das alles mit gefähr­li­chem Halb­wis­sen. Mit Ent­set­zen den­ke ich an die vie­len unbe­hol­fe­nen Gesprä­che über natur­wis­sen­schaft­li­che Zusam­men­hän­ge zurück, die ein­fach nur heil­los verliefen.

    Ja, es ist so. Wir wis­sen nichts! – Das hat der gries­grä­mi­ge Her­bert Weh­ner in dem berühm­ten Fern­seh­in­ter­view mit Hans Die­ter Lueg mit aggres­si­ver Hoch­po­tenz unbe­zwei­fel­bar klar gestellt. – Übri­gens ist es köst­lich, wie sich bei­de behar­ken und Weh­ner sein Gegen­über als “Herr Lüg” titu­liert, wor­auf die­ser, gar nicht ver­le­gen mit “Herr Wöh­ner” kontert.

    Unge­fähr so stel­le ich mir eine phi­lo­so­phi­sche Per­for­mance des Phi­lo­so­phen unter den Phi­lo­so­phen vor, wie er, gefolgt von einer Entou­ra­ge hoch­wohl­ge­bo­re­ner Jün­ger den Hono­ra­tio­ren wie­der ein­mal eine Abfuhr nach der ande­ren erteil­te und die Jüng­lin­ge dar­über in wie­hern­des Geläch­ter aus­bra­chen. Nichts ist schlim­mer als die ein­ge­bil­de­te Weis­heit, daher habe ich auch kein Mit­leid, denn die Ver­tre­ter des Nicht­selbst­den­kens haben sich den Spott red­lich verdient.

    Und nein, wir ste­hen kei­nes­wegs nackt da, son­dern ganz im Gegen­teil. Es wird sogar immer bun­ter, sobald das Den­ken ins Schwe­ben kommt, weil sich immer mehr gute Gei­ster ein­stel­len, denn wo einer ist, kom­men bald schon ande­re hin­zu. – Das geschieht aber nur, wenn gar nicht mehr irgend­ein Anspruch erho­ben wird, irgend­et­was jetzt aber nun ernst­haft und unbe­zwei­fel­bar mit Gewiß­heit wis­sen zu kön­nen und zwar so, daß sich ande­re gefäl­ligst dar­an zu hal­ten haben.

    Wor­auf es beim Umgang mit Nicht­wis­sen ankommt? – Wir ver­fü­gen hof­fent­lich über eine Urteils­kraft, die sich auf das Schwe­ben ver­steht. Und die­ses Urteils­ver­mö­gen ist für Situa­tio­nen zustän­dig, in denen wir ein­fach nicht genug wis­sen können.

    Phi­lo­so­phie ist daher auch nicht ein­fach nur eine Tätig­keit, es geht auch nicht nur um Tech­ni­ken des Den­kens, Schluß­fol­gerns und Bewei­sens. Es geht viel­mehr um eine Lebens­hal­tung, die aller­dings auch ein­ge­übt wer­den kann.

    Wenn Dia­lo­ge und Dis­kur­se sich in unse­rer ein­fäl­ti­gen Zeit und unter Abse­hung der vie­len Ein­di­men­sio­na­li­tä­ten end­lich ein­mal lösen von der Gedan­ken­schwe­re ihrer Blind­heit und ris­kie­ren, mit dem Schwe­ben zu begin­nen, dann ist es der Aus­druck von Selbstbewußtsein.

    Man muß es sich eben auch lei­sten kön­nen, vie­len Gedan­ken ihre Chan­cen zukom­men zu las­sen. Dann ist Schluß mit die­sem grim­mi­gen Recht­ha­ben­wol­len, wenn end­lich die Ein­stim­mung in die phi­lo­so­phi­sche Grund­hal­tung auf­kommt, um bereit­wil­lig Platz zu machen für den Auf­tritt aller erdenk­li­cher Gedan­ken, Gefüh­le und Gei­ster, von denen einer bemer­kens­wer­ter als der ande­re ist. 

    Wenn dem so ist, dann kann Geist auf­kom­men. Aber die­ser macht das nur in Aus­nah­me­si­tua­tio­nen, weil er anson­sten weit bes­se­res zu tun hat. – Wenn wir uns aber die­se Frei­hei­ten her­aus­neh­men im Gespräch, dann kommt auf, was in den alten Schrif­ten als “Lachen der Wei­sen” dar­ge­stellt wird.

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Ethik,  Identität und Individualismus,  Kunst,  Künstler,  Lehramt,  Lüge,  Moderne,  Moral,  Motive der Mythen,  Platon,  Politik,  Psyche,  Religion,  Schuld,  Seele,  Theorien der Kultur,  Utopie,  Wahrheit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Soziale Kompetenzen und geistige Inkompetenzen

    Fairneß als Zeichen von Größe

    Es gibt sozia­le Kom­pe­ten­zen, die weit wich­ti­ger sind als eine in sich selbst ver­lieb­te Kon­kur­renz­ge­sell­schaft, die doch nur am Ast sägt, auf dem sie sitzt. — Das wur­de am Frei­tag deut­lich, im Semi­nar für ange­hen­de Leh­rer und Leh­re­rin­nen, in dem es um Pro­fes­sio­na­li­tät und Berufs­ethik geht.

    Man mag es kaum mehr glau­ben, aber Kin­der brin­gen ein Gefühl für Gerech­tig­keit gleich mit auf die Welt. Sie kämp­fen sogar dafür, wis­sen aber viel­leicht noch nicht genau, wie man sol­che Wer­te lebt ohne als dumm hin­ge­stellt zu werden.

    Hört man Vor­schul­kin­dern beim gemein­sa­men Spie­len zu, dann ver­han­deln sie die Regeln fast eben­so lan­ge, wie tat­säch­lich auch gespielt wird. Und der Satz: „Das gil­det nicht!“, klingt mir noch immer in den Ohren. — Wie so oft hat Jean Jac­ques Rous­se­au mal wie­der Recht: Die Natur des Men­schen ist und bleibt gut, solan­ge die Gesell­schaft kei­nen schlech­ten Ein­fluß ausübt.

    Gera­de im Gere­de über die ver­meint­li­che Natur des Men­schen glau­ben vie­le ohne die gering­ste Ahnung von Anthro­po­lo­gie, ihre beschränk­te Sicht der Din­ge und vor allem ihre Res­sen­ti­ments unwi­der­spro­chen ver­all­ge­mei­nern zu dürfen.

    Wolfsmärchen

    Man glaubt es aus eige­ner Anschau­ung bes­ser zu wis­sen. Wir leben angeb­lich in einer Kon­kur­renz- und Lei­stungs­ge­sell­schaft, im Kampf aller gegen alle, auf der frei­en Wild­bahn, inmit­ten hoch­zi­vi­li­sier­ter Wel­ten, die von vorn bis hin­ten men­schen­ge­macht sind. — Also was soll die Beru­fung auf die angeb­li­che „Natur des Menschen“?

    Tat­säch­lich haben wir alle erdenk­li­chen Frei­hei­ten, uns nach eige­nen Vor­stel­lun­gen zu „kul­ti­vie­ren“ in unse­rer Natur, als Per­son und vor allem in unse­rem Cha­rak­ter. Aber genau die­se Frei­heit ist vie­len suspekt.

    Dage­gen dient die Beru­fung auf eine angeb­lich schlech­te Natur des Men­schen der Recht­fer­ti­gung, den Ein­zel­nen die ihnen zuste­hen­den Frei­hei­ten in der Selbst­fin­dung vor­zu­ent­hal­ten und zugleich so etwas wie „Men­schen­füh­rung“ zu bean­spru­chen, mit der sich die Herr­schaf­ten zu allen Zei­ten immer sehr gut legi­ti­mie­ren haben. — Ent­mün­di­gung und Bevor­mun­dung sind daher noch immer auch in angeb­lich „frei­en“ Gesell­schaf­ten die Regel.

    Die Coro­na-Zeit hat über­deut­lich gemacht, wie begrenzt die Halt­bar­keit der angeb­lich garan­tier­ten Grund­rech­te eigent­lich ist. Aus purer Angst haben vie­le ihre unver­äu­ßer­li­chen Grund­rech­te gegen ver­meint­li­che Sicher­hei­ten getauscht. Aber so etwas war schon immer ein schlech­ter Tausch.

    Jean-Léon Gérô­me: Die Wahr­heit kommt aus ihrem Brun­nen (1896).

    Der von Kant gefor­der­te Mut, sich des eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen, ist eben kein Kin­der­spiel. Angst war schon immer der schlech­te­ste aller Rat­ge­ber, Haß und Het­ze waren noch nie ein Aus­druck guter Poli­tik. Aber man­che sind das Opfer eige­ner Äng­ste und grei­fen hän­de­rin­gend nach allem, was angeb­lich Halt ver­spricht. Es war manch­mal wie bei einer Mas­sen­pa­nik, bei der man­che ein­fach tot­ge­tram­pelt wurden.

    Sou­ve­rä­ni­tät, Gelas­sen­heit und Auto­no­mie haben Sel­ten­heits­wert, wo alles über einen Lei­sten geschla­gen wird.

    Fairneß

    Aus­ge­rech­net im Lei­stungs­sport, bei dem es ja angeb­lich immer nur ums Gewin­nen geht, also inmit­ten der Ellen­bo­gen­ge­sell­schaft, gibt es aber noch ganz ande­re Wer­te: Fair­neß, Gerech­tig­keit und Authen­ti­zi­tät sind Zei­chen wahr­haf­ter Grö­ße. Nur muß man sich so etwas lei­sten wol­len und auch können.

    Wenn etwa bei der Tour de France alle Fah­rer auf einen Kon­kur­ren­ten war­ten, der zuvor unglück­lich gestürzt war. Aus Grün­den der Fair­neß zügeln alle plötz­lich den unbe­ding­ten Wil­len zum Sieg. Wenn sie dann mit beein­drucken­den Gesten dar­auf war­ten, daß einer von ihnen aus höhe­ren Grün­den als erster ins Ziel fah­ren kann, dann zeigt sich, was mensch­li­che Grö­ße aus­macht. — Wenn eine Ski­läu­fe­rin der Kon­kur­ren­tin mit­ten im Ren­nen ihren Stock “aus­leiht”, dann aber selbst stür­zen und sogar ver­lie­ren muß. Auch wenn jener Fuß­bal­ler, der im Straf­raum gestürzt aber kei­nes­wegs zu Fall gebracht wor­den ist, beim Schieds­rich­ter gegen den bereits gege­be­nen Elf­me­ter plä­diert, dann haben wir gute Bei­spie­le, die der dump­fen Ideo­lo­gie unse­rer angeb­lich so herz– und geist­lo­sen Kon­kur­renz­ge­sell­schaft haus­hoch über­le­gen sind.

    Wie lau­tet doch der drei­ste Spruch einer der dümm­sten Wer­be­kam­pa­gnen aller Zei­ten: „Ich bin doch nicht blöd!“ — Genau: Gele­gen­heit macht Die­be und wer etwas steh­len kann und es nicht tut, ist doch ein­fach nur blöd. Wer sich einen betrü­ge­ri­schen Vor­teil ver­schaf­fen kann, wäre doch blöd, es nicht zu tun, oder?

    Die Seele des schlechten Gewissens

    Alle viel zu dürf­tig den­ken­den Schlau­mei­er ver­ges­sen dabei jedoch eines: Wir sind nie allein. Wir haben immer einen Zeu­gen dabei, näm­lich uns selbst. Es ist das schlech­te Gewis­sen und hin­ter alle­dem steht die eige­ne Seele.

    Davon ist seit gerau­mer Zeit immer weni­ger die Rede: Unse­re See­le weiß offen­bar sehr genau, was wirk­lich gut ist für ande­re und auch für uns selbst. — Ich ver­mu­te inzwi­schen, daß man­che Depres­si­on von einem schlech­ten Gewis­sen her­rüh­ren dürf­te, die von einer in die Ecke gestell­ten See­le ausgehen.

    Nicht von unge­fähr wird die­ser Tage der Unter­schied zwi­schen Psy­che und See­le immer wich­ti­ger. Denn die Psy­che ist offen­bar inzwi­schen selbst zum Teil des Pro­blems gewor­den. Sie stellt sich nur zu gern als Opfer hin, ist oft aber auch Täter an sich selbst, und dabei wirbt sie wie die Poli­ti­ker für ihre viel zu ein­fäl­ti­gen Machen­schaf­ten. — Tat­säch­lich sind die eigent­li­chen Moti­ve oft nur von die­ser Welt, wenn man an Nar­ziß­mus, Gel­tungs­sucht, Selbst­ver­liebt­heit, Vor­ein­ge­nom­men­heit, Rach­sucht, Haß, Neid und Eitel­keit denkt.

    Aber fra­gen wir gene­rell: War­um „gut“ sein wol­len und vor allem wozu? — Nur aus Angst vor Stra­fe, wenn man erwischt wür­de, oder viel­mehr aus eige­nem Antrieb, also von innen her, aus eige­ner Moti­va­ti­on, weil wir uns eben die Frei­heit zur Grö­ße tat­säch­lich her­aus­neh­men und auch lei­sten wollen.

    Wür­de den Belan­gen der See­le mehr Raum ver­schafft, die Wei­ter­ent­wick­lung der eige­nen Per­son, der gan­zen Welt, ja sogar der gan­zen Mensch­heit wür­de bemer­kens­wer­te Ent­wick­lun­gen machen bis hin zu einer sehr viel mensch­li­che­ren Welt. — Aber vie­le glau­ben, mit dunk­len Machen­schaf­ten, Rück­sichts­lo­sig­kei­ten, ja sogar mit Lug und Betrug sehr viel bes­ser durch­zu­kom­men. Fragt sich nur wozu und wohin sie “durch­kom­men” wollen.

    Ein Zauberring, der unsichtbar macht

    Bei Pla­ton wird die­ses Pro­blem näher erläu­tert anhand eines Motivs von einem magi­schen Ring mit der Fähig­keit, den Trä­ger unsicht­bar zu machen. Der Mythos vom Ring des Gyges geht auf eine anti­ke Erzäh­lung zurück, die in vie­len Vari­an­ten durch­ge­spielt wor­den ist. — Die Kern­fra­ge aber lau­tet immer: Was wür­de man tun, wenn man die­sen Ring hät­te und dann unge­straft tun könn­te, was und wie es einem beliebt.

    Eglon van der Neer: Die Frau des Kan­dau­les ent­deckt den ver­steck­ten Gyges (1660).

    Im Dia­log bei Pla­ton wird mit der Alle­go­rie vom Zau­ber­ring erör­tert, was in Päd­ago­gik und Psy­cho­lo­gie als „intrin­si­sche Moti­va­ti­on“ bezeich­net wird. — Wer sich näm­lich unsicht­bar machen kann, der wäre schlicht unan­greif­bar und daher übermächtig.

    Die Fra­ge liegt also auf der Hand: Wenn einem gar nichts pas­sie­ren kann, egal was man tut; war­um soll­te man dann noch mora­lisch moti­viert sein?

    Schön und lehr­reich ist es immer, so etwas durch­zu­spie­len, um in Erfah­rung zu brin­gen, was dann wirk­lich geschieht, wenn man es täte. Die Aus­sich­ten auf den ver­meint­li­chen Erfolg fin­ste­rer Machen­schaf­ten wer­den tat­säch­lich als­bald getrübt, wenn wir die Fol­gen näher in Augen­schein neh­men. — Men­schen haben näm­lich nicht wirk­lich ech­te Freu­de am Erschwin­del­ten. Genau­er bese­hen zählt es nicht nur nicht, es fällt sogar alles zurück auf die, die es ver­sucht haben, auf die­se Wei­se einen Erfolg ein­zu­heim­sen, der gar kei­ner war.

    Gera­de gegen die­sen Impuls, sich sol­che Frei­hei­ten zum Lügen und Betrü­gen her­aus­zu­neh­men, gibt es wie­der sehr schö­ne Gegen­bei­spie­le. Tat­säch­lich ist uns näm­lich an ech­ter, wohl­ver­dien­ter Aner­ken­nung gele­gen und alles ande­re zählt nicht wirklich.

    Da gibt es bei­spiels­wei­se die Bal­la­de von einem mäch­ti­gen Mann, der eine jun­ge Frau begehrt, die ihm aber nicht zuge­tan ist. In sei­ner Lie­bes­not ver­legt sich die­ser selt­sa­me Vogel auf einen See­len­zau­ber, um die Dame sei­nes Her­zens doch noch dazu zu bewe­gen, ihm gewo­gen zu sein und der Zau­ber ver­fängt. — Aber er hat die Rech­nung ohne den Wirt gemacht. Er kann ein­fach nicht glück­lich wer­den mit die­ser gestoh­le­nen Lie­be, weil sie ja nicht „echt“ ist.

    Oder wenn etwa der ver­mö­gen­de Intim­freund einer auf­stre­ben­den Künst­le­rin die­ser einen ganz gro­ßen Gefal­len tun will, indem er die von ihr geschaf­fe­nen, bis­her nicht son­der­lich gut ver­kauf­ten Kunst­wer­ke ein­fach sei­ner­seits erwirbt. Er hat ja schließ­lich Geld genug und kann es sich lei­sten. — Was wird aber gesche­hen, sobald sie dahin­ter­kommt, daß er es war, der alles auf­ge­kauft hat? Käme sie sich dann nicht reich­lich blöd vor?

    Man sieht, sol­che Rech­nun­gen gehen ein­fach nicht auf. Wenn etwas nicht echt ist, dann kann und darf es gar nicht zäh­len, das wis­sen bereits Kin­der sehr früh. — Daher wol­len wir ent­we­der ech­te Aner­ken­nung oder lie­ber gar kei­ne. Im Zwei­fels­fall kann man das eige­ne Schei­tern noch immer als Zei­chen ech­ter Grö­ße zele­brie­ren. Man hat es eben ehr­lich ver­sucht, aber die Welt war noch nicht reif genug.

    Wir legen also gro­ßen Wert dar­auf, sicher zu gehen, daß ande­re uns nicht ein­fach nur schmei­cheln und etwas vor­ma­chen wol­len. Und sogar Kin­der, die erst noch das Auch–mal–Verlieren–Können ler­nen müs­sen, sind im Prin­zip längst so weit, ein­se­hen zu kön­nen, daß ein geschenk­ter Sieg nicht wirk­lich zählt. — Mit Augen­zwin­kern kann man ihnen tat­säch­lich bereits zu ver­ste­hen geben, daß man sie dies­mal noch gewin­nen läßt, weil sie sich noch all­zu sehr ärgern über eine Nie­der­la­ge im Spiel.

    Wie es wäre, Donald Trump zu sein

    Bei alle­dem den­ke ich immer mal wie­der über den Cha­rak­ter von Donald Trump nach, weil mir sei­ne Unauf­rich­tig­keit und sein fort­wäh­ren­der Selbst­be­trug nur schwer nach­voll­zieh­bar ist. Ich will ver­ste­hen, schei­te­re aber immer wie­der an mei­nem Vor­stel­lungs­ver­mö­gen, wie es wohl von­stat­ten gehen könn­te, der­art von sich über­zeugt zu sein, so daß man glaubt, sich selbst und ande­re auf Dau­er belü­gen und betrü­gen zu kön­nen. — Und die­se Gedan­ken dräng­ten sich mir auch im Semi­nar über die “Fair­neß im Sport­un­ter­richt” wie­der auf.

    Enri­co Maz­z­an­ti: Pinoc­chio (1883).

    Trump ist gewiß kein Sports­mann, dach­te ich mir. Aber er spielt doch Golf, also müß­te er doch irgend­wie „fair“ sein, dach­te ich mir dage­gen auch wiederum.

    Der­weil kam mir die Sze­ne aus dem Bond-Film „Gold­fin­ger“ in den Sinn, wo ein Bond-Böse­wicht auf ganz jäm­mer­li­che Wei­se beim Golf betrügt, weil die von Gerd Frö­be so her­vor­ra­gend gespiel­te Figur ein­fach nicht ver­lie­ren und daher auch nicht fair sein kann. — Der ins Nir­gend­wo ver­schla­ge­ne Golf­ball wird vom fin­ste­ren Gehil­fen ein­fach durch ein Loch in der Hosen­ta­sche an Ort und Stel­le plat­ziert, was natür­lich von Bond durch­schaut und auch auf­ge­klärt wird.

    Um aber in der ent­schei­den­den Fra­ge wei­ter­zu­kom­men, habe ich ein­fach nach „Trump sports­man“ gegoo­gelt. — Gleich der zwei­te Fund ist eine Mel­dung aus dem Spiegel:

    „So gewinnt er immer. Der US-Prä­si­dent Donald Trump hält sich für einen exzel­len­ten Gol­fer. Tat­säch­lich schum­melt er bei jeder Gele­gen­heit, sogar gegen pro­mi­nen­te Mit­spie­ler wie Tiger Woods.“ — Dan­ke, mehr brau­che ich nicht. Manch­mal ist es mir schon wie­der zu blöd, so ein­fach Recht zu haben.

    Das erklärt aber nur, daß er so ist, wie zu befürch­ten war. Aber erklärt wird nicht, war­um Trump so ist, wie er ist. — Also ver­su­che ich mir zu erklä­ren, wie man sich wohl füh­len muß, wenn die See­le als Gei­sel genom­men wor­den ist und am Kopen­ha­gen-Syn­drom lei­det, wo die Gei­seln beim Feu­er­ge­fecht mit der Poli­zei den Tätern die Waf­fen nach­ge­la­den haben.

    Um etwas zu ver­ste­hen, müs­sen wir es uns erst ein­mal vor­stell­bar und nach­voll­zieh­bar machen, aber dazu gehört sehr viel Ein­füh­lungs­ver­mö­gen. — Wenn es schon einen berühm­ten Auf­satz von Tho­mas Nagel gibt unter der Fra­ge­stel­lung: „Wie es ist, eine Fle­der­maus zu sein“, dann soll­te es doch auch gelin­gen, sich vor­stel­len zu kön­nen, wie es wohl sein wür­de, Donald Trump zu sein, nicht auf Dau­er, aber solan­ge, bis man gese­hen hat, wie Trump–Sein geht.

    Als Hilfs­ar­gu­ment neh­me ich der­weil ein „Fak­tum“ aus ande­ren Zei­ten. Es wur­de näm­lich vor­zei­ten über Mercedes–Fahrer, ihre Karos­sen und ihr Ver­hal­ten im Stra­ßen­ver­kehr gesagt, daß bei die­sen die Vor­fahrt bereits ein­ge­baut sei. — So jeden­falls ver­su­che ich mir zu erklä­ren, wie der Trum­pis­mus als Betriebs­sy­stem und Mas­sen­be­we­gung wohl funk­tio­nie­ren könn­te. In der non–binären Welt von Trump, sei­ner Anhän­ger­schaft und denen, die an ihn und sei­ne Mis­si­on glau­ben, ist er ja so etwas wie ein Messias.

    Im Trump–Spiel kann es immer nur einen Gewin­ner geben. Dem­nach gibt es gar nicht die Mög­lich­keit, daß er auch mal ver­lie­ren könn­te, denn so etwas ist im Schöp­fungs­plan ein­fach nicht vor­ge­se­hen! — Also kann eine Wahl, in der er ver­lo­ren hat, ein­fach nur ein Fake sein, genau­so wie die Fotos sei­ner Amts­ein­füh­rung mit einem bemer­kens­wer­ter Neo­lo­gis­mus gekon­tert wur­den, bei dem man sich nicht genug die Augen rei­ben kann: Es gäbe neben der nor­ma­len Wirk­lich­keit noch so etwas wie „Alter­na­ti­ve Fak­ten“, sag­te sei­ne selt­sam anmu­ten­de Pres­se­spre­che­rin damals.

    Kritik der Esoterik

    Aller­dings berei­tet es mir beson­de­re Pro­ble­me, genau­er nach­zu­voll­zie­hen, war­um es unter Eso­te­ri­kern häu­fi­ger gera­de sol­che Zeit­ge­nos­sen gibt, die in Trump einen ganz gro­ßen, wei­sen, aus­er­wähl­ten, durch­aus von den Göt­tern gesand­ten Erlö­ser sehen. — Ich muß geste­hen, daß ich dann in mei­ner Gedan­ken­ar­beit regel­mä­ßig an Bela­stungs­gren­zen sto­ße, weil ich da ein­fach nicht mehr mit­kom­me. Dabei spie­le ich ganz gern auch mit schrä­gen Gedanken.

    In Kin­der­ta­gen hat­te ich uner­müd­li­che Gedan­ken­spie­le mit Ver­su­chen, mir etwas vor­zu­stel­len, was ich mir nicht vor­stel­len kann. Also wur­de eine Vor­stel­lung nach der ande­ren durch­ge­wun­ken; sobald sie vor­stell­bar gewor­den war, wur­de sie auch schon wie­der abge­lehnt… — So etwas erwei­tert den Hori­zont des Vor­stell­ba­ren unge­mein und den­noch blei­ben gewis­se Gren­zen der Phantasie.

    Nicht ohne scha­den­fro­he Selbst­iro­nie sehe ich mir selbst beim Expe­ri­men­tie­ren mit den Gedan­ken­wel­ten man­cher die­ser Eso­te­ri­ker zu. Bald zei­gen sich näm­lich in mei­ner Welt­vor­stel­lung die ersten Ris­se, dann kom­men Struk­tur­brü­che hin­zu und schon bald bre­chen gan­zen Gedan­ken­ge­bäu­de kra­chend in sich zusam­men, wenn ich ernst­haft ver­su­che, alle­dem einen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn einzuhauchen.

    Da wer­den nicht nur die zu prü­fen­den Gedan­ken zu Crash­test-Dum­mies, schluß­end­lich kol­la­biert die gan­ze Ver­suchs-Anla­ge. — Es dau­ert übri­gens etwa drei Tage, bis alles so eini­ger­ma­ßen wie­der steht.

    Trump, Sports­geist, Fair­neß, wahr­haf­te Grö­ße, tat­säch­li­che Wür­de, Kon­zi­li­anz und vor allem Per­sön­lich­keit, wie das alles zusam­men­ge­hört? — Manch­mal paßt es eben nicht wirk­lich und alles bricht unter der Last der Lügen in sich zusammen.

    Für Gläu­bi­ge ist so etwas aber nichts wei­ter als eine Prü­fung in der Festig­keit des eige­nen Glau­bens. — Wie heißt es doch: Als sie ihr Schei­tern bemerk­ten, da ver­dop­pel­ten sie ihre Anstrengungen.

    Aller­dings ist die­ser Tage nicht nur ein Zen­tral­ge­stirn reak­tio­nä­ren Den­kens im Sink­flug begrif­fen. So ergeht es man­chen die­ser Tage, die ein­fach zu hoch geflo­gen sind. — Man kann nicht Angst mit Haß bekämp­fen, man soll­te auch nicht die See­len­heil­kun­de in die Hän­de ver­meint­li­cher Coa­ches legen, die auf den Markt­plät­zen im Inter­net wie Wun­der­hei­ler herumziehen.

    Zur Fair­neß, vor allem auch zu der, sich selbst gegen­über, braucht es Mut und Zuver­sicht. Aber so etwas fällt nicht vom Him­mel. — Auf Bil­dung kommt es an, so viel Umweg muß sein.

    Man­che wol­len aber Erleuch­tung nach dem Mot­to: “I like Genuß sofort”, noch so eine sau­blö­de Wer­bung vor­zei­ten. Und die­sen Spruch haben sich vie­le auch noch aufs Auto geklebt. — Da mag es gün­stig erschei­nen, gleich in den Glau­ben zu sprin­gen, als wäre es nur eine Mut­pro­be. Aber so etwas ist gar kei­ne Lei­stung, son­dern nur die Flucht vor der gei­sti­gen Freiheit.

    Auf die Bil­dung der Per­sön­lich­keit kommt es daher an. Wir soll­ten eini­ger­ma­ßen sicher gehen kön­nen, daß wir uns selbst und ande­ren nicht ein­fach nur etwas vor­ma­chen. – Das ist es doch gera­de, was “Kri­tik” aus­macht. Wir soll­ten uns nicht selbst auf den Leim gehen, son­dern uns selbst ganz beson­ders “kri­tisch” betrachten.

    Als Kon­trast­mit­tel kann man dabei auf Phi­lo­so­phie, Kunst und Dich­tung zurückgreifen:

    „Wer Wis­sen­schaft und Kunst besitzt,

    Hat auch Religion;

    Wer jene bei­den nicht besitzt,

    Der habe Religion.“

    (Johann Wolf­gang von Goe­the: Gedich­te. Nach­le­se. In: Ber­li­ner Aus­ga­be; Bd. 2, S. 383.)

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Lüge,  Moderne,  Moral,  Motive der Mythen,  Politik,  Theorien der Kultur,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Elon Musk und der Algorithmus der Macht

    Über die Konstruktion der herrschenden Meinung

    Wer die Spra­che beherrscht, kann Macht für sich bean­spru­chen, weil die Wirk­lich­keit damit kon­stru­iert wer­den kann und damit auch die herr­schen­de Meinung.

    Elon Musk will angeb­lich den Algo­rith­mus ver­öf­fent­li­chen, der „hin­ter“ Twit­ter steckt. Aber es sind hun­der­te und im übri­gen bräuch­te man dann auch das Mate­ri­al, mit dem die­se Algo­rith­men “ange­lernt” wor­den sind.

    Via Twit­ter ver­kün­den die Alphas unter den Jour­na­li­sten seit gerau­mer Wei­le, wo die herr­schen­de Mei­nung liegt. Auf­stre­ben­de Nach­wuchs­ta­len­te haben das Cre­do der mäch­ti­gen Mei­nungs­ma­cher dank­bar übernommen.

    Die „Vier­te Gewalt“ ist kei­ne mehr, son­dern selbst zum Teil des Pro­blems gewor­den, sie hat sich zum Angst­bei­ßer ent­wickelt, weil sie längst vor dem Inter­net in die Knie gegan­gen ist. – Als das Pri­vat­fern­se­hen auf­kam, hat­ten die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten schließ­lich auch nichts Bes­se­res zu tun, als sich ein schlech­tes Bei­spiel an der neu­en Kon­kur­renz zu nehmen.

    Johann Hein­rich von Dannecker, Ari­ad­ne auf dem Pan­ther, 1803–1814, Lie­bieg­haus in Frank­furt am Main.

    Nicht ohne klamm­heim­li­che Freu­de gön­ne ich es den Ver­tre­tern der “Vier­ten Gewalt”, daß sie jetzt mit­ver­kauft wor­den sind. Denn sie tun seit Jah­ren nicht mehr, was sie zu tun hät­ten: Den Dis­kur­sen bei der Ori­en­tie­rung in der ver­wir­ren­den Viel­falt aller Stim­men kom­pe­tent zur Sei­te zu stehen.

    Natür­lich gibt es immer auch Aus­nah­men, aber die Ten­den­zen sind ins­ge­samt besorg­nis­er­re­gend: Man­che füh­ren sich wie die Ober­prie­ster einer allein­se­lig­ma­chen­den Kir­che auf, um alle exkom­mu­ni­zie­ren zu las­sen, die sich nicht ihrer Auf­fas­sung „fügen“.

    Die her­me­ti­sche Mei­nungs­bil­dung via Twit­ter wirkt wie die hei­li­ge Inqui­si­ti­on der römisch-katho­li­schen Kir­che. – Aus­ge­sto­ßen zu wer­den aus der Gemein­schaft, ist seit Anbe­ginn der Mensch­heit die ulti­ma­ti­ve Katastrophe.

    Wäh­rend die Kir­chen immer weni­ger rele­vant sind in Fra­gen der Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung, haben Pres­se­ver­tre­ter längst die Rol­le der Kir­chen­für­sten über­nom­men. Man kann inzwi­schen sogar die Exkom­mu­ni­ka­ti­on aus­spre­chen und exe­ku­tie­ren, die Betrof­fe­nen wer­den dann vom sozia­len Tod ereilt.

    Nun hat Elon Musk gera­de via Twit­ter oft und gern zur Image­pfle­ge, für Spie­le­rei­en, Spe­ku­la­tio­nen und zur Agi­ta­ti­on genutzt. Dabei war das Medi­um immer auch Bot­schaft. – Aber irgend etwas hat den Tycoon ganz offen­bar schon seit lan­gem an Twit­ter gestört: Es muß das Geheim­nis­vol­le im Ran­king gewe­sen sein. Also wer kriegt eigent­lich was, wann und war­um zu sehen?

    Man weiß längst von Insi­dern sozia­ler Net­ze, die zu Wist­le­b­lo­wern wur­den, daß gera­de die „gro­ßen“, beson­ders extre­men „Emo­tio­nen“ geför­dert wer­den, weil wir uns angeb­lich nur zu gern maß­los auf­re­gen. Und die Algo­rith­men sind dazu pro­gram­miert, die User mög­lichst lang auf der Platt­form zu hal­ten, damit man sie umso bes­ser mit Wer­bung bestrei­chen kann.

    So wie einst­wei­len die Rat­schlüs­se der Göt­ter uner­forsch­lich waren, so sind es jetzt die Algo­rith­men. Es wäre daher begrü­ßens­wert, wür­den die Algo­rith­men von Twit­ter ver­öf­fent­licht. Berich­tet wird, daß Elon Musk mit einer Entou­ra­ge eng­ster Mit­ar­bei­ter wie eine Besat­zungs­macht ein­ge­fal­len ist. Die Chefs wur­den augen­blick­lich in die Wüste geschickt, das Gan­ze ist eine Mischung aus feind­li­cher Über­nah­me und Raz­zia. – Sei­ten­wei­se wur­den Codes geor­dert und aus­ge­druckt, die dann in einer klan­de­sti­nen Com­mu­ni­ty von Bera­tern und Exper­ten, mit denen sich Musk umge­ben hat, geprüft zu wer­den. Worauf?

    Jetzt hat er nicht nur ein Satel­li­ten­sy­stem „unter sich“, das der Kom­mu­ni­ka­ti­on vor allem auch in Kriegs­ge­bie­ten dient. Jetzt will er an die Kom­mu­ni­ka­ti­on selbst her­an. – Tat­säch­lich geht es um unse­re Diskurse!

    Aber sind Mär­chen, Mythen und Meta­phern nicht auch wie Algo­rith­men? Und ist nicht Ari­ad­ne eine, die sich mit Laby­rin­then aus­kennt? – Ganz so neu ist das alles nun auch wie­der nicht.

    https://​www​.nzz​.ch/​t​e​c​h​n​o​l​o​g​i​e​/​e​l​o​n​-​m​u​s​k​-​w​i​l​l​-​d​e​n​-​t​w​i​t​t​e​r​-​a​l​g​o​r​i​t​h​m​u​s​-​v​e​r​o​e​f​f​e​n​t​l​i​c​h​e​n​-​w​a​s​-​w​u​e​r​d​e​-​d​a​s​-​a​e​n​d​e​r​n​-​l​d​.​1​6​8​1​269

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona-Politik,  Diskurs,  Identität und Individualismus,  Kunst,  Moderne,  Moral,  Politik,  Psyche,  Religion,  Theorien der Kultur,  Utopie,  Wahrheit,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Die Vernunft, die Musen und das Glück

    Über Momente des Glücks, für die zu leben sich lohnt

    In der Medi­zin set­zen nicht-inva­si­ve Ein­grif­fe inzwi­schen neue Maß­stä­be. Der­weil betreibt die Poli­tik noch immer hemds­är­me­li­gen Inter­ven­tio­nis­mus. Ver­nunft oder gar Geist sind unerwünscht.

    So ist die Homöo­pa­thie die­ser Tage gestri­chen wor­den von den Fort­bil­dun­gen für Ärz­ten. Sie paßt nicht mehr in die­se selbst­ver­lieb­te Zeit. Man glaubt, grö­ße­re Pro­ble­me nur mit schwe­ren Waf­fen „lösen“ zu kön­nen. – Es wäre aber zu emp­feh­len, mehr über Sozia­le Syste­me zur Kennt­nis zu nehmen.

    Die Maul­af­fen-Per­for­mance aus Coro­nas Zei­ten wird unbe­irrt wei­ter fort­ge­setzt. Dabei ist die Welt längst aus dem Rhyth­mus gera­ten, weil Poli­ti­ker in vie­len Län­dern allen Ern­stes mein­ten, sie könn­ten auf Hand­steue­rung umschal­ten. Grö­ßen­wahn inmit­ten einer Kri­se ist das Dümm­ste, was pas­sie­ren kann.

    Es gibt näm­lich gar kein Cock­pit, kei­ne Brücke mit Kapi­tän und Steu­er­mann. Sozia­le Syste­me haben alle ihren eige­nen Auto­pi­lo­ten. Sie steu­ern sich selbst, ganz im Sin­ne ihrer inter­nen Codes, ob Poli­tik, Wis­sen­schaft, Gesund­heit, Recht, Reli­gi­on, Kunst oder Lie­be. – Es gibt kei­ne Hebel der Macht. Das sind naï­ve Vor­stel­lun­gen, die eigent­lich nie der Wirk­lich­keit entsprachen.

    Aller­dings gibt es mehr oder min­der gro­ße Dumm­hei­ten, die anfangs noch naiv, dann aber fahr­läs­sig und bald schon unver­ant­wort­lich wer­den. „Gut gemeint“ ist nicht „gut gemacht“, bei­lei­be nicht.

    Wer sich kei­nen Kopf macht, kann ihn auch nicht ver­lie­ren, das glau­ben wohl man­che von denen, die immer vor­ne­weg sind:

    „So tu doch was!“

    „Was soll ich denn tun?“

    „Das weiß ich auch nicht. -

    Aber tu doch end­lich irgendwas!“

    Auch das 9 Euro-Ticket ist wie­der so eine pre­kä­re Mei­ster­lei­stung. Es ist über­haupt kei­ne gute Idee, gleich gan­ze Syste­me zu maro­die­ren, so wie zuvor noch die Kli­ni­ken in der Coro­na-Kri­se. Inzwi­schen sit­zen alle erdenk­li­chen Leu­te spa­ßes­hal­ber im Zug und neh­men denen die Plät­ze weg, die nur zur Arbeit fah­ren. – Das Bahn-Bas­hing ist jetzt zur Frei­zeit­un­ter­hal­tung geworden.

    Oder der staat­li­che Tan­kra­batt, der nicht wirk­lich an der Tank­säu­le ankommt, weil er vor­her abge­fischt wird. Und dann regen sich alle wie­der auf über die bösen Spe­ku­lan­ten. – Es war sei­ner­zeit eine Freu­de, als man­che davon kalt erwischt wur­den im Lockdown.

    Sie hat­ten gro­ße Kon­tin­gen­te an Sprit in Ter­min­ge­schäf­ten erwor­ben aber gar kei­ne eige­nen Lager­ka­pa­zi­tä­ten. Als sie die Ware zum erhöh­ten Preis abneh­men soll­ten, muß­ten man­che drauf­zah­len, damit ihnen irgend­wer das Zeug zum Dum­ping­preis noch vor der Lie­fe­rung abkauft.

    Was kann Poli­tik? Wenn sie klug, viel­leicht sogar ver­nünf­tig oder even­tu­ell auch geist­reich wäre, dann könn­te sie eini­ges bewir­ken. Aber nicht durch Södern, Flick­schu­ste­rei und Popu­lis­mus. Jetzt mal eben eine Über­ge­winn­steu­er zu beschlie­ßen, ist bereits am wis­sen­schaft­li­chen Dienst geschei­tert. Das geht glück­li­cher­wei­se nicht auch noch, weil ein paar Grund­ge­set­ze im Wege stehen.

    Wir haben Pri­vat­wirt­schaft und die­se setzt sich selbst ihre Zie­le, wie jedes ande­re System auch. – Schlech­te Poli­tik bringt aber die Syste­me der­art aus der Rou­ti­ne, so daß Desa­ster nicht mehr aus­ge­schlos­sen sind. So war und ist der Umgang des Staa­tes mit Bahn, Bil­dung und Gesund­heit ein­fach nur kata­stro­phal. Mal eben Kin­der­gär­ten und Schu­len schlie­ßen, das war auch wie­der so eine Meisterleistung.

    Ins Gesund­heits­we­sen hat die Poli­tik der­art krass hin­ein­re­giert, so daß der eigent­li­che Zweck längst ins Hin­ter­tref­fen gera­ten ist. Geht es wirk­lich noch um Gesund­heit, wo die Fall­pau­scha­len alles beherrschen?

    Neu­er­dings sind bereits die ersten Inve­sto­ren auf beson­ders lukra­ti­ve Arzt­pra­xen auf­merk­sam gewor­den? Kran­ken­häu­ser sind bereits Spe­ku­la­ti­ons­ob­jek­te, die natür­lich nur noch vor­hal­ten, was sich ren­tiert, nicht gesund­heit­lich, son­dern eben öko­no­misch. – Und die Vor­fi­nan­zie­rung teu­rer Gerä­te für Fach­arzt­pra­xen ist offen­bar die näch­ste Stufe.

    Aber die Pati­en­ten spie­len mit und las­sen sich brav von Ter­min zu Ter­min schicken. Es pas­siert ja was, es wird ja was getan. Auf den Dos­siers der Labor­un­ter­su­chun­gen fin­den sich Hand­rei­chun­gen für den wer­ten Leser, für die man kei­nen Arzt mehr braucht. – Es ist aus­ge­wie­sen, was als “nor­mal” gilt und was gemes­sen wur­de. Aber die Nor­ma­li­tät wur­de als sol­che oft aus ganz ande­ren Grün­den beschlos­sen, die mit Gesund­heit selbst nichts zu tun hat. So sind die Wer­te für Blut­druck immer wie­der gesenkt wor­den und die Zahl der Pati­en­ten stieg. Die wun­der­sa­me Ver­meh­rung gibt es also auch in der Medizin.

    Wer wird sich da noch ver­trau­ens­voll in die Hän­de sol­cher Weiß­kit­tel bege­ben? – Aber die Leu­te ver­trau­en doch nur zu gern, um die eige­nen Ver­ant­wor­tung nicht spü­ren und schon gar nicht tra­gen zu müs­sen. Wir leben in Zei­ten eines neu­en Paternalismus.

    Die Aller­mei­sten kon­su­mie­ren ihre eige­ne Unmün­dig­keit. Sie wol­len mit der eige­nen Erkran­kung höchst­selbst eigent­lich nichts zu tun haben. Also sind sie auch nicht wirk­lich bei der Sache, dabei soll­te es doch eigent­lich um Hei­lung gehen.

    Krank­heit ist dann kein Weg mehr, son­dern nur wie Kalk im Was­ser­kes­sel, der weg­ge­macht wer­den soll. Wenn ein Lei­den “nur” psy­chisch bedingt ist, dann ist es eher so etwas wie pure Ein­bil­dung. – Nur, was sich mes­sen läßt, hat ein Recht dar­auf, über­haupt ernst genom­men zu wer­den. Kann man Geist­lo­sig­keit messen?

    Der neue Dis­kurs über Depres­si­on, der inter­es­san­ter­wei­se von nam­haf­ten Come­di­ans wie Schmidt, Strä­ter und Krö­mer ange­sto­ßen wur­de, dürf­te aller­dings nicht ohne Wir­kung blei­ben. – Es gibt zu den­ken, daß aus­ge­rech­net die Lustig­sten unter den Mit­men­schen die erfor­der­li­che Elo­quenz auf­brin­gen, end­lich zu sagen, daß der Clown hin­ter sei­ner Mas­ke weint und wie ihm dabei zu Mute ist.

    Wir leben in beweg­ten Zei­ten. Es ist Cha­os genug, mehr geht eigent­lich nicht. – Im Hin­ter­grund steht eine Medi­en­re­vo­lu­ti­on, die ihres­glei­chen sucht. Nur noch die Erfin­dung des Buch­drucks kann der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, die nun ansteht, über­haupt noch das Was­ser reichen.

    Unter die­sen Umstän­den ver­än­dert sich auch die Rol­le von Poli­ti­kern ganz radi­kal. Daher rüh­ren auch die fort­wäh­ren­den Ver­su­che, das Netz der Net­ze unter Kon­trol­le zu bekom­men. – Aber so viel läßt sich jetzt schon mit Gewiß­heit sagen: Es wird nicht gelin­gen. Wenn es eine Ener­gie­quel­le gibt, von der die Kul­tur­ge­schich­te ange­trie­ben wird, dann ist es die Sehn­sucht nach Indi­vi­dua­li­tät und indi­vi­du­el­ler Anerkennung.

    In die­sen Zei­ten ist ein „Tal der Ahnungs­lo­sen“, wie noch in der DDR, als die Anten­nen bei Dres­den nicht hoch genug sein konn­ten, um West­fern­se­hen zu emp­fan­gen, gar nicht mehr denk­bar. In den hin­ter­letz­ten Win­keln der Welt wis­sen alle, daß woan­ders ein ande­res Leben geführt und ande­re Wer­te gelebt wer­den. Die dog­ma­ti­sche Begrün­dung der „Hir­ten“, Tugend­wäch­ter und Gesin­nungs­wäch­ter, ver­fängt ein­fach nicht mehr. Es gibt immer Alternativen!

    Auch im gar nicht mehr ganz so frei­en Westen zei­gen sich Ver­än­de­run­gen. Die Dis­kur­se fin­den nicht mehr nur in der „System­pres­se“ statt, son­dern über­all. Und sie wer­den der­art divers, so daß sich man­che Ver­tre­ter der Pres­se in Mis­sio­na­re ver­wan­delt haben, die wie vor Zei­ten in frem­den Län­dern den „Aber­glau­ben“ bekämpf­ten, um ihre „fro­he Bot­schaft“ vor­zu­be­rei­ten. – Ganz so froh war die Bot­schaft für die Nati­ves dann doch nicht, wenn man bedenkt, daß außer­eu­ro­päi­schen Kul­tu­ren ein­fach der eige­nen Iden­ti­tät beraubt wur­de, um sie unter die Fuch­tel frem­der Herr­schaft zu zwin­gen und Geschäf­te auf ihre Kosten zu machen.

    Der Westen hat unend­li­ches Leid über alle erdenk­li­chen Kul­tu­ren gebracht. Schwei­gen wir hier von den Nie­der­lan­den, von Bel­gi­en oder Frank­reich. Um nur ein Bei­spiel zu brin­gen: Die Bri­ten haben wäh­rend ihrer Besat­zungs­zeit den Indern die Sin­nen­freu­de aus­ge­trie­ben, weil sie bei sich zuhau­se gera­de ihren Vik­to­ria­nis­mus hat­ten und den Frau­en gar kei­ne und schon gar kei­ne eige­ne Lust zuge­ste­hen moch­ten. – Noch heu­te zei­gen sich die trau­ma­ti­schen Spät­fol­gen in Indi­en anhand von Gewalt­ver­bre­chen mit sexu­el­lem Hintergrund.

    Die frem­de Herr­schaft ist zwar abge­zo­gen, man hat aber seit­her kei­nen eige­nen Umgang mit Sin­nen­freu­den mehr, son­dern eine repres­si­ve Scheu und ein Scham­emp­fin­den, unter dem es bro­delt und kocht. – Die Kul­tur wur­de mut­wil­lig zer­stört, nur um Geschäf­te zu machen. Es fehlt der Respekt vor dem Geist, wo immer nur aufs Mate­ri­el­le gestarrt wird.

    Man den­ke nur an den Opi­um­han­del in Chi­na. Das geschah, um die eigent­lich sta­bi­le Kul­tur in Chi­na emp­find­lich zu schwä­chen und das Land mit­hil­fe die­ser Sucht in die Kniee zu zwin­gen. – Der Westen möge sich also bit­te nicht so auf­spie­len, er soll­te erst ein­mal Buße tun, im Geden­ken an die­se Ver­bre­chen. Und wenn man bedenkt, daß ein Gut­teil der Lan­des­gren­zen von den Bri­ten gezo­gen wur­de, in Afri­ka und in Asi­en, bewußt mit­ten durch Stam­mes­ge­bie­te, weil man den Hader immer wie­der für eige­ne Zwecke instru­men­ta­li­sie­ren wollte.

    Man kann inzwi­schen erstaun­lich viel über mie­se Machen­schaf­ten wis­sen. Das mei­ste davon ist nicht ein­mal mehr geheim, son­dern läßt sich im Zwei­fels­fall mit Links sehr schnell doku­men­tie­ren. Das ist es, was das Netz aus­macht. – So war es eine Stern­stun­de, als die Pla­ne­s­pot­ter an ver­schie­de­nen Flug­hä­fen der Welt ihre Beob­ach­tun­gen unter­ein­an­der abstimm­ten und dann publik wur­de, daß es regel­rech­te Fol­ter­flü­ge im Auf­trag der CIA gab und daß die USA in Euro­pa gehei­me Gefäng­nis­se betreibt.

    Wir ste­hen erst am Anfang einer neu­en, unüber­seh­bar mäch­ti­gen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on. So etwas dau­ert meh­re­re Gene­ra­tio­nen und das Netz läuft sich gera­de erst warm.

    Auf eine Medi­en­re­vo­lu­ti­on folgt immer eine Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, weil ja nun noch mehr Men­schen mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men, ohne daß sich Herr­scher oder Prie­ster noch dazwi­schen­schal­ten könnten.

    Zuvor ent­schied die Kir­che, ob und wie ein Text das Licht der Öffent­lich­keit erblick­te. Aber der Buch­druck mach­te die Kon­trol­le der Kom­mu­ni­ka­ti­on durch die Kir­che unmög­lich. Fort­an ent­schie­den schnell nam­haft wer­den­de Drucker, was sie drucken woll­ten, aus ganz eige­nen Moti­ven her­aus. – Dar­auf ging die Zen­sur von der Kir­che an den Staat über.

    Mar­tin Luther hielt nicht viel vom Buch­druck, aber bös­ar­ti­ge Kari­ka­tu­ren über Papst und Kir­che brach­ten sei­ner Refor­ma­ti­on erst den rich­ti­gen Schwung. Der Papst als Schwein mit der drei­fa­chen Kro­ne, das konn­ten auch Leu­te ver­ste­hen, die noch nicht des Lesens mäch­tig waren.

    Dar­auf kam die Zei­tungs­pres­se und mit ihr kamen Par­la­men­te, Par­tei­en und Poli­ti­ker. Und mit dem Radio kamen tota­li­tä­re Syste­me auf, wie Faschis­mus oder Sozia­lis­mus. Neue Medi­en sind zu vie­ler­lei ein­setz­bar, im Guten wie auch im Bösen. – Der­weil split­tet „die“ Öffent­lich­keit sich immer wei­ter auf. Es gibt nicht mehr die ein­zig wah­re herr­schen­de Mei­nung aller Wohl­mei­nen­den und Wohlinformierten.

    Man­che unter den Poli­ti­kern kom­men in ihrer neu­en Rol­le gar nicht mehr an. Sie kön­nen sich nicht mehr als „Reprä­sen­tan­ten“ ver­ste­hen, als Volks­ver­tre­ter, weil das „Volk“ selbst mün­dig gewor­den ist und nie­man­den mehr braucht, der noch das Wort stell­ver­tre­tend ergreift.

    Die Zei­ten sind ver­gan­gen, als Poli­ti­ker noch in aller Eitel­keit beton­ten, sie sei­en die näch­ste Woche wie­der in der Haupt­stadt. Dort wür­den sie dann tur­nus­mä­ßig auf irgend­ei­ne Wich­tig­keit von Mensch tref­fen, um bei Gele­gen­heit das gemein­sa­me Anlie­gen umso dring­li­cher vor­zu­tra­gen. – Man soll­te sich auf­ge­ho­ben, ernst genom­men, ver­stan­den und ver­tre­ten fühlen.

    Jetzt braucht es sie nicht mehr, die­se Form der Reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie, weil sich alle selbst aus­drücken und inso­fern auch reprä­sen­tie­ren kön­nen. Es gilt, end­lich mehr Demo­kra­tie zu wagen. – War­um wäh­len wir den Bun­des­prä­si­den­ten nicht online? Wahl­män­ner braucht es nicht mehr, also auch nicht mehr eine Bundesversammlung.

    Die Rol­le von Reli­gi­ons­für­sten, Prie­stern und „Hir­ten“ ist vakant gewor­den. Daher ist es auch kein Skan­dal mehr, wenn sich ein Bischof aus dem Ruhr­ge­biet vor etwa 10 Jah­ren in vol­ler Über­zeu­gung noch gegen die gleich­ge­schlecht­li­che Eltern­schaft aus­sprach, von wegen, das sei „wider­na­tür­lich“, Kin­der bräuch­ten nun ein­mal Vater und Mut­ter. Das ist inzwi­schen ein­fach nur noch eine belie­bi­ge Mei­nungs­äu­ße­rung. – Rosa von Praun­heim saß mit in der Dis­kus­si­ons­run­de und sag­te baff nicht ohne Schmun­zeln: Daß er das noch mal erle­ben dürfte!

    Es ist alles auch ein biß­chen viel, was sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten so alles radi­kal gewan­delt hat. Und Man­chen geht es noch immer nicht schnell genug. Dage­gen hilft eine Sen­tenz von Niklas Luh­mann: Vie­le wür­den immer­zu noch mehr Ver­än­de­run­gen ver­lan­gen, ohne aber zu beden­ken, „wie schnell wir schon fahren“.

    Jede Inter­ven­ti­on führt zu Gegen-Reak­tio­nen von Sei­ten der Sozia­len Syste­me, die sich ihrer­seits auf die ver­än­der­ten “Umwelt­be­din­gun­gen” ein­stel­len, wie die Mine­ral­öl-Spe­ku­lan­ten, die bei der Gele­gen­heit ganz außer­or­dent­li­che Gewin­ne erwirt­schaf­ten wer­den. – Das stützt übri­gens auch einen schlim­men Ver­dacht, dem bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men gegenüber.

    Im Prin­zip kann man nur für ein Grund­ge­halt sein, wenn es denn wirk­lich so kom­men wür­de, wie es im Traum erscheint: Eine Gesell­schaft, in der Men­schen ein­an­der durch Krea­ti­vi­tät beglücken, die sich end­lich dar­auf ver­stün­de, die vie­len schlum­mern­den Talen­te in vie­len von uns zu erwecken. Wäre das nicht wirk­lich lebens­wert und sogar lie­bens­wert? – Aber wie beim Tan­kra­batt wür­de schluß­end­lich nur eines die Fol­ge eines sol­chen Grund­ein­kom­mens sein: Die Mie­ten wür­den stei­gen, weil Ver­mie­ter nun ein­mal mit Miet­wohn­raum spe­ku­lie­ren, um mög­lichst hohe Gewin­ne zu erzielen.

    Nein, die Welt ist über­haupt nicht ein­fach. Das Getue von Poli­ti­kern mit ihrem Hang zum Inter­ven­tio­nis­mus ist Buden­zau­ber. Des­we­gen hat man den Tan­kra­batt auch nicht an dem Groß­han­del gege­ben, dann wäre er an den Tank­stel­len ange­kom­men. Auf den Hype kam es an, auf die Show, what ever it costs.

    Die Reli­gi­on soll die­ser Tage durch eine deter­mi­ni­sti­sche Wis­sen­schaft ersetzt wer­den, die päpst­li­cher sein soll als der Papst. – „Fol­low the Sci­ence?“, da fragt sich nur wohin. Im übri­gen, gibt es etwas Düm­me­res als die­sen Spruch?

    Man kann eine Hür­de auch neh­men, indem man sie nicht etwa über­springt, son­dern “unter­bie­tet”, wie Trump, John­son, Erdo­gan, Putin, Jong-un oder auch wie die Tali­ban. Wenn man nur die Frau­en oder auch die Anders­den­ken­den aus vor­ge­scho­be­nen Glau­bens­grün­den mög­lichst radi­kal unter­drückt, dann wird alles wie­der gut. – Sor­ry, wel­cher Gott soll­te dar­an Gefal­len finden?

    Um abzu­len­ken wer­den Pro­ble­me zur Not auch künst­lich erzeugt und dann „gelöst“. Im Hin­ter­grund ste­hen zumeist tie­fer lie­gen­de Res­sen­ti­ments gegen die Moder­ne, gegen jede Eman­zi­pa­ti­on und vor allem gegen Ver­nunft und Geist. Alles soll so blei­ben wie es ist, bes­ser noch, alles soll so wer­den, wie es ein­mal war, als alles angeb­lich noch gut war. – Aber auch das funk­tio­niert mit Sicher­heit nicht.

    Der trei­ben­de Fak­tor im Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on ist Indi­vi­dua­li­sie­rung. Alle suchen so gut sie kön­nen nach sich selbst, wol­len sich spü­ren und sehen las­sen kön­nen in ihrer Ein­zig­ar­tig­keit. Aber die Wenig­sten wis­sen von sich, wer sie eigent­lich sind oder sein wol­len, ganz unab­hän­gig vom Sol­len. – Was hilft?

    Phi­lo­so­phie kann hel­fen, wenn es dar­um geht, mehr Boden unter die Füße zu bekom­men. Man kann nicht alles zugleich anzwei­feln und soll­te schon gar nicht den Ast absä­gen, auf dem man sitzt. Der Rei­he nach, also mit Metho­de geht das durch­aus. – Wich­tig und wesent­lich ist aber vor allem eines, daß gere­det wird. Es braucht Dia­lo­ge und Dis­kur­se vor allem über das, was pein­lich sein könn­te, über Äng­ste, Gefüh­le, Sehn­süch­te, Gelü­ste, Unsi­cher­hei­ten, Rol­len­kon­flik­te. Wenn immer mehr Men­schen ein­an­der authen­tisch begeg­nen, dann kön­nen Dia­lo­ge ent­ste­hen, die den Hori­zont wirk­lich erwei­tern. Dann könn­te es auch sein, daß man­che die­ser Bann­flü­che bre­chen, mit denen wir uns und unse­res­glei­chen immer­zu klein machen und klein halten.

    Der­zeit ist jedoch allent­hal­ben ein Man­gel an Geist, an Beschei­den­heit und ein Man­gel an Gelas­sen­heit zu ver­zeich­nen. Man glaubt ernst­haft, über­all hin­ein­pfu­schen zu kön­nen, ohne wirk­lich eine Ahnung zu haben von dem, was da eigent­lich vor sich geht in den Systemen.

    Wer hat denn die Endo­kri­no­lo­gie wirk­lich so auf dem Schirm, daß die Wir­kung künst­li­cher Hor­mon­ga­ben nicht nur so unge­fähr ver­stan­den wird, son­dern in ihrer gan­zen Wech­sel­wir­kung bis hin­auf zur See­le, zur Psy­che und bis hin zum Geist beur­tei­len zu kön­nen? – Es müß­te schon ein Uni­ver­sal­ge­nie sein, daß es so nicht mehr geben kann. Also braucht es den Streit der Fakul­tä­ten, aber kei­ne Ein­heits­par­tei, kei­ne Ein­heits­wis­sen­schaft und auch kei­nen Einheitsbrei.

    In der Tat steht ein Kurs­wech­sel an, der Aus­stieg aus dem Car­bon-Zeit­al­ter und der Ein­stieg in die Welt der rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie. – Poli­tik kann im Namen des Staa­tes die Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen oder auch ver­än­dern. Popu­lis­mus ist aber kontraproduktiv.

    Ein schö­nes Bei­spiel für gelun­ge­ne Poli­tik ist das Patent­recht. Ein Erfin­der wird sei­ne Erfin­dung geheim hal­ten wol­len, weil er nichts davon hät­te, wenn ande­re ern­ten, was er gesät hat. – Genau das aber wäre nicht im Sin­ne von Wirt­schaft und Gesell­schaft. Deren Inter­es­se besteht viel­mehr dar­in, daß Paten­te öffent­lich gemacht wer­den. – Also ver­bürgt sich der Staat dafür, daß die Rech­te des Urhe­bers gewahrt blei­ben. Dafür muß aber die Erfin­dung öffent­lich gemacht wer­den, und der Erfin­der erhält dar­auf sein Patent, mit dem er am Markt mit den Ver­wer­tern auf­tre­ten und ver­han­deln kann. Es braucht also eigent­lich nicht viel, um ganz gewal­tig etwas zu ver­än­dern, so daß es auf den rich­ti­gen Kurs kommt.

    In der chi­ne­si­schen Phi­lo­so­phie gibt es dazu ein Prin­zip, es ist das „Wu Wei“, was bedeu­tet „Nicht-Tun“. Damit ist aber kei­nes­wegs „Nichts­tun“ gemeint, viel­mehr geht es um eine Phi­lo­so­phie der Inter­ven­ti­on. Es kommt dar­auf an, mit gering­fü­gi­gen Ein­grif­fen die ent­schei­den­den Rei­ze zu set­zen, um einen Kurs­wech­sel in die gewünsch­te Rich­tung zu bewir­ken. Das macht gute Poli­tik zur Kunst.

    Das macht gute Päd­ago­gik, gute Psy­cho­lo­gie, gute Phi­lo­so­phie aus. In den Dia­lo­gen sind Men­to­ren nur anwe­send und tun dabei, rein äußer­lich betrach­tet, nicht son­der­lich viel. Sie “mode­rie­ren” und sind wie die Kata­ly­sa­to­ren in der Che­mie oder in der Bio­lo­gie. – Wenn und solan­ge sie anwe­send sind, wird aber das Unmög­li­che möglich.

    Reak­tio­nen, für die eigent­lich anspruchs­vol­le Rah­men­be­din­gun­gen erfor­der­lich sind, gehen ohne Pro­ble­me von­stat­ten, als wäre ein ganz beson­de­rer Zau­ber im Spiel. – Die Meme, also gute Ideen haben etwas von sol­cher Zau­ber­kraft. Wesent­lich ist, daß ein Geist auf­kommt, der die Musen zur Hil­fe rufen kann, so daß man sich vor Begei­ste­rung vor so vie­ler guter Ein­fäl­le kaum noch erweh­ren kann.

    Dann gilt es, mit bewuß­ter Unter­küh­lung die ein­zel­nen Optio­nen zu prü­fen und womög­lich ins Kon­zept zu brin­gen. Das wäre gute Poli­tik, das ist aber bereits Kunst und viel­leicht auch Phi­lo­so­phie, wenn denn das Gute, Schö­ne und Wah­re wirk­lich zusam­men­ge­bracht wer­den könnten.

    Wenn sich im Dia­log die erlö­sen­den Wor­te ein­stel­len, so daß wir end­lich sagen kön­nen, was schon längst soll­te gesagt und ver­stan­den wor­den sein, erst dann kom­men wir uns selbst und ein­an­der näher in einem Ver­ste­hen, das sei­ne Basis gefun­den hat. Das sind Momen­te des Glücks, für die es zu leben sich lohnt.

    Die Wirk­lich­keit selbst wird immer viel­fäl­ti­ger, nur schwarz-weiß oder wenig­sten grau zu den­ken, sie Slo­ter­di­jk anregt, ist noch immer nicht far­big. Aber das wäre viel­leicht auch ein wenig zu viel des Guten. – Dage­gen ist aber auch der kau­sal­fe­ti­schi­sti­sche Ungeist kei­nes­wegs dazu ange­tan, wirk­lich auf gute Ideen zu kommen.

    Johan König: Athe­ne und die Neun Musen an der Quel­le von Hip­okre­ne (1624).

    Wie wäre es, wenn sich die Ver­nunft und die Musen zusam­men­tun? – Wenn ich dar­über spe­ku­lie­re, wie die Ver­nunft es wohl macht, wenn sie ein Modell des­sen erstel­len soll, wor­auf es ins­ge­samt ankommt, dann wird es doch wohl nicht im Sin­ne der MINT-Fächer sein, nicht im Sin­ne der viel­be­ru­fe­ne “Ratio­na­li­tät” oder “Wis­sen­schaft­lich­keit”, denn es gibt so vie­le davon wie Göt­ter im Pantheon.

    Der Leit­stern kann nicht der allent­hal­ben bemüh­te Kau­sal-Feti­schis­mus sein, der in der Coro­na-Kri­se schon so viel gei­sti­ge Ver­wir­rung gestif­tet hat. Nein, die Ver­nunft opti­miert sich in Hin­sicht auf Schön­heit, als Ein­heit des Wah­ren, Schö­nen und Guten. – Die­ser Meta-Dis­kurs soll­te end­lich an die Stel­le der Papst­kir­che tre­ten, um die alten Göt­ter eben­so wie die Musen dazu zu bewe­gen, ihre uralten Kämp­fe, Tän­ze und Inspi­ra­tio­nen wie­der aufzunehmen.
  • Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Ironie,  Lüge,  Moderne,  Politik,  Professionalität,  Wahrheit,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist

    Stoibern und Drosten

    Inkompetenzkompensationskompetenz

    Ja, die gibt es wirk­lich. Odo Mar­quardt hat sie ent­deckt, die Kom­pe­tenz der Phi­lo­so­phen als Stunt­man in Kom­pe­tenz­fra­gen. Wenn man des näch­tens durch uni­ver­si­tä­re Kata­kom­ben streif­te und aus irgend­ei­nem der Räu­me gro­ße Hei­ter­keit zu ver­neh­men war, dann konn­te man sich viel­leicht dar­an erfreu­en, einer Rede des begna­de­ten Bedeu­tungs­künst­lers Odo Mar­quardt beizuwohnen.

    So beginnt er sei­nen Vor­trag “Inkom­pe­tenz­kom­pen­sa­ti­ons­kom­pe­tenz? Über Kom­pe­tenz und Inkom­pe­tenz der Phi­lo­so­phie” mit einer maka­bren Geschich­te, die gleich auf den Kopf zu spre­chen kommt, um den es gehen soll, den phi­lo­so­phi­schen Kopf.

    Bei einem chi­ne­si­schen Hen­ker­wett­streit – so wird erzählt – geriet der zwei­te Fina­list in die Ver­le­gen­heit, eine schier unüber­biet­bar prä­zi­se Ent­haup­tung durch sei­nen Kon­kur­ren­ten, der vor ihm dran war, über­bie­ten zu müs­sen. Es herrsch­te Span­nung. Mit schar­fer Klin­ge führ­te er sei­nen Streich. Jedoch der Kopf des zu Ent­haup­ten­den fiel nicht, und der also schein­bar noch nicht ent­haup­te­te Delin­quent blick­te den Hen­ker erstaunt und fra­gend an. Drauf die­ser zu ihm: nicken Sie mal.

    Mich inter­es­siert, was die­ser Kopf denkt, bevor er nickt; denn das müß­te doch Ähn­lich­keit haben mit Gedan­ken der Phi­lo­so­phie über sich selber.

    Wenn genü­gend hin­ter­sin­ni­ger Witz, also Geist vor­han­den ist, dann ist auch die Spra­che in ihrem Ele­ment. Schließ­lich muß der Geist die Wor­te, denen wir anver­trau­en wol­len, was wir mit­tei­len möch­ten, erst ‘besee­len’. Die­se gei­ster­haf­te Gei­stig­keit kommt von den Meta­phern, die man sich her­bei­ruft, um mit ihnen wie im Zir­kus nicht unge­fähr­li­che Dres­sur­stück­chen vor­zu­füh­ren. – Das Span­nen­de dar­an ist aller­dings, daß Meta­pho­ri­sie­ren schief gehen kann und zwar ganz gewaltig.

    Auch das hat wie­der­um einen aus­ge­zeich­ne­ten Unter­hal­tungs­wert. Dann fehlt aller­dings der Geist, der dem Gesag­ten die See­le ein­haucht. Aber in den Vor­stel­lungs­wel­ten auf­merk­sa­mer Zuhö­rer kön­nen Gei­ster auch durch demon­stra­ti­ve Abwe­sen­heit eine Bot­schaft abset­zen. Dann geht so gut wie alles schief, was schief gehen kann. – Dann steckt der Geist im unbe­rück­sich­tig­ten Hin­ter­sinn, der in der letz­ten Rei­he sei­ne Faxen macht und den ord­nungs­ge­mä­ßen Ablauf der Zie­hung der Wor­te als Glücks­tref­fer so rich­tig sabotiert.

    Eines der erle­sen­sten Demon­stra­tio­nen sprach­li­cher Inkom­pe­tenz ist die unver­geß­li­che Rede des dama­li­gen Mini­ster­prä­si­den­ten Edmund Stoi­ber, der sich für eine Strecke mit dem Trans­ra­pid zwi­schen Mün­che­ner Haupt­bahn­hof und Flug­ha­fen stark machen woll­te. Er hat­te dabei etwas vor Augen, das ihm auf­grund sprach­li­chen Unver­mö­gens oder auch, weil er einen schlech­ten Tag gehabt haben mag, ein­fach nicht gelang, eigent­lich eine Bana­li­tät zum Aus­druck zu brin­gen: Eine Flug­rei­se vom Mün­che­ner Flug­ha­fen könn­te bereits im Haupt­bahn­hof begin­nen, des­halb sol­le man sich doch die Vor­zü­ge nicht nur vor Augen füh­ren, son­dern nicht ent­ge­hen las­sen und die Strecke für den Trans­ra­pid end­lich befür­wor­ten und bauen.

    Es ist ein unver­ges­se­nes Werk der Sprach­kunst, weil man sieht, was alles schief gehen kann. Ich weiß, es ist böse, aber die Scha­den­freu­de berei­tet gera­de auch eine gro­ße, halb­ver­bo­te­ne Freu­de, die in die­sen fin­ste­ren Zei­ten auch etwas Ent­la­sten­des haben kann. – Also katho­lisch gese­hen, ist es nur eine läß­li­che Sün­de, auf eine Samm­lung hin­zu­wei­sen, die Ken­ner der Rede­kunst bei You­tube zusam­men­ge­tra­gen haben unter dem Titel “Stoi­bers Gestam­mel­te Wer­ke”. Die Trans-Rapid-Rede fin­det sich dort gleich zu Beginn.

    Gut gestoi­bert ist halb gedro­stet. Ich kom­me dar­auf, weil mir man­che Ähn­lich­kei­ten ist Auge fal­len und ich gera­de dabei bin, nach­zu­voll­zie­hen, war­um der NDR-Pod­cast von Prof. Dr. Chri­sti­an Hein­rich Maria Dro­sten sich so gro­ßer Beliebt­heit erfreut, seit den Anfän­gen unse­rer Pan-Hysterie.

    Ich den­ke mal, daß es vie­le Gei­stes­wis­sen­schaft­ler sein müs­sen, die ehr­furchts­voll lau­schen, wenn da jemand so ähn­lich stam­melt, wie Stoi­ber. Und ich fra­ge mich: Kann es sein, daß vie­le Kol­le­gen aus den Gei­stes­wis­sen­schaf­ten dem Natur­wis­sen­schaft­ler sei­nen unbe­hol­fe­nen Umgang mit Spra­che gern nach­se­hen? – Ist es mög­lich, daß sie dar­in sogar eine beson­de­res Zei­chen von Kom­pe­tenz sehen?

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Politik,  Diskurs,  Identität und Individualismus,  Moderne,  Psyche,  Seele,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Nähe und Enge

    Wenn es eng wird ums Herz

    “Wann Krieg beginnt, das kann man wis­sen, aber wann beginnt der Vor­krieg. Falls es da Regeln gäbe, müß­te man sie wei­ter­sa­gen.” (Chri­sta Wolf: Kas­san­dra. Vor­aus­set­zun­gen einer Erzäh­lung. Frank­fur­ter Poetik–Vorlesungen; Darm­stadt, Neu­wied 1983. S. 76f.)

    Es gibt einen ethisch nicht zuläs­si­gen Tier­ver­such: Zwei Rat­ten wer­den in einen Käfig gesperrt, der eine ziem­lich klar defi­nier­te Grö­ße unter­schrei­tet. Dann gehen sich bei­de augen­blick­lich an die Gur­gel, bis nur noch eine übrig bleibt. 
    Auf mehr­tä­gi­gen Ver­an­stal­tun­gen gibt es die­sen magi­schen 3. Tag. Auch da gehen sich Teil­neh­mer aus einem inne­ren Zwang her­aus an, weil irgend­ei­ne Geduld am Ende ist und man vom vie­len Weg­lä­cheln all­mäh­lich Gesichts­krämp­fe bekommt. — Es ist auch komisch, wenn gleich ganz vie­le wie auf ein gehei­mes Kom­man­do ziem­lich unver­mit­telt und auf­grund von Nich­tig­kei­ten plötz­lich auf­ein­an­der losgehen.
    Wenn man als Refe­rent spä­ter dazu kommt und wis­sen möch­te, wie die Stim­mung so ist, kann man sehr gut Teil­neh­me­rin­nen befra­gen. Frau­en haben es wie selbst­ver­ständ­lich auf dem Schirm, wer mit wem, war­um nicht und wes­we­gen. — Ich bin da immer bass erstaunt, wie leicht frau Grup­pen­dy­na­mik dur­schau­en kann, weil ich dazu mit Bord­mit­teln ziem­lich lan­ge brau­che, bis ich es auch sehe.
    Jérô­me-Mar­tin Lang­lois: Cas­san­dra fleht Miner­va an, sich an Ajax zu rächen (1810).
    Es ist über­aus wich­tig, hin­ter die Kulis­sen zu schau­en. Das ist auch der Sinn von Höf­lich­keit, denn es gilt, ande­ren zuvor­kom­mend zu begeg­nen, so daß sie gar nicht erst Beklem­mun­gen bekom­men, son­dern sich wohl­füh­len, ver­stan­den, geach­tet, gewür­digt. — Das läßt sich sehr schön bei Knig­ge stu­die­ren, dem es mit­nich­ten um den Ein­satz des Fisch­mes­sers geht. 
    Tat­säch­lich ist Gesell­schaft immer auch Thea­ter. Wir spie­len unse­re Rol­len und dabei uns selbst und ande­ren etwas vor. Aber was wäre die Alter­na­ti­ve? — Der Unter­ti­tel bei Knig­ge lau­tet, vom Umgang mit Men­schen. Dabei geht es um eine Diplo­ma­tie, die alles ande­re ist als Schmei­che­lei oder Mani­pu­la­ti­on. Aller­dings ist dazu ein wenig Lebens­art und Lebens­er­fah­rung erfor­der­lich und vor allem ein huma­ni­sti­scher Geist. 
    Das Rol­len­spiel ist ja selbst wie­der ein Medi­um, eine Spra­che, mit der wir uns dar­stel­len. Das wird einem klar bei einer Emp­feh­lung, die Knig­ge gibt: Sei­ner­zeit war die Bewe­gungs­frei­heit nicht so wie heu­te. Nur Ade­li­ge und Hand­werks­ge­sel­len durf­ten und muß­ten rei­sen, um sich in der wei­ten Welt zu bewei­sen. In der Tat lernt man sich selbst am besten in der Frem­de ken­nen und vor allem dann, wie man mit dem Unbe­kann­ten umge­hen muß. 
    Wenn man in der Stadt eine Kut­sche gemie­tet hat und die Kut­scher wie ver­rückt los­fah­ren, soll­te man sich kei­nes­wegs dar­über beschwe­ren. Es geht nur um eine Bela­stungs­pro­be. Wenn näm­lich die Räder schwach sind, dann soll­ten sie hier und jetzt bre­chen – aber nicht im Wald, wo bekannt­lich die Räu­ber sind. 
    Die mei­sten Pro­ble­me ent­ste­hen durch nicht the­ma­ti­sier­tes Miß­ver­ste­hen. Es ist fal­sche Höf­lich­keit, irgend­ei­ne Form zu wah­ren, aber nicht auf das zu spre­chen zu kom­men, was wirk­lich von Bedeu­tung ist, um ein­an­der zu ver­ste­hen. — Das ist vor­aus­set­zungs­rei­cher als gedacht. Zunächst müß­te man erst ein­mal sich selbst ver­ste­hen und dann auch den Ande­ren. Dann braucht man eine gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge, wie es schon im Jar­gon der Diplo­ma­ten heißt. Das alles ver­langt der Spra­che der­art viel ab, so daß vie­le lie­ber alles weg­lä­cheln und Meta–Toleranz–Gepflogenheiten vor sich her­tra­gen oder auch Par­tei­nah­men, je nach Tages­be­fehl, was 
    noch mehr Pro­ble­me bereitet.
    Die Welt ist in der Tat abhän­gig vom Wil­len und von der Vor­stel­lung, die man sich dar­über macht oder auch nur machen läßt. Das hat die Coro­na-Kri­se leid­lich unter Beweis gestellt. Die Gren­zen zwi­schen dem Öffent­li­chen und dem Pri­va­ten, zwi­schen Gesell­schaft und Gemein­schaft, wur­den stän­dig ver­letzt. Man hat sich in eine Stim­mung aus Panik, Furcht und Bedro­hung ver­set­zen und dau­er­haft hal­ten lassen.
    Und jetzt erscheint es so, als wäre Coro­na nur eine Art Vor­krieg gewe­sen. Die Pola­ri­sie­rung der Gesell­schaft, der Kul­tur, man­cher Gemein­schaf­ten und das Gefühl, im Ande­ren eine infek­tiö­se Bedro­hung zu sehen und Nähe gene­rell fürch­ten zu müs­sen, sich auf nichts mehr ver­las­sen zu kön­nen, schon gar nicht auf das eige­ne Immun­sy­stem, das hat alles sehr viel mehr Scha­den ange­rich­tet, als man­che bereit wären, sich zuzugestehen.
    Auch ist es kein Zufall, daß nun­mehr mit mög­lichst gro­ßer Öffent­lich­keit die­ses toxi­sche Männ­lich­keits­geh­abe wie­der fröh­li­che Urstän­de fei­ert. — Wie war es noch, als Deut­sche in den Krieg fuh­ren? Das taten sie ja nur, um dort mit ihrer neu­en, fran­zö­si­schen Gelieb­ten auf der Chaus­see de Ely­see fla­nie­ren zu gehen. Zurück kamen sie, wenn über­haupt, zutiefst traumatisiert.
    Die Welt­krie­ge haben die­se Schat­ten­fi­gu­ren des pre­kä­ren Mas­ku­li­nis­mus erzeugt, einen manisch-depres­si­ven Män­ner­typ, der nicht spre­chen kann über die Scheuß­lich­kei­ten, die nicht wie­der ver­schwin­den wol­len. Also liegt er den gan­zen Tag auf der Couch, bekommt aber ein­mal am Tag sei­nen Anfall, die gan­ze Fami­lie zu vermöbeln.
    Das gegen­wär­ti­ge, affen­haf­te Brust­klop­fen der Macho­ma­nie ist ja nur das, was im Vor­krieg demon­striert wird. Spä­ter wird sich die Gesell­schaft in gro­ßer Dank­bar­keit für die erbrach­ten Opfer von die­sen Hel­den nur noch ange­wi­dert abwen­den. Also was soll das?
    Es ist kein Kunst­stück, gegen den Krieg zu sein, gegen jeden, weil das ein­fach für nichts gut ist. Außer­dem befand man sich schon immer in der bes­se­ren Gesell­schaft mit denen, die sich ein eige­nes Urteils­ver­mö­gen zutrau­en und auch zumu­ten moch­ten. — Zwi­schen der Zustim­mung zur Imp­fung und der Zustim­mung zum Krieg gibt es eine gespen­sti­sche Gemeinsamkeit.
    I am not con­vin­ced. — Wo kommt nur das Bedürf­nis nach Haß her? Ist es nicht eine viel zu spä­te Reak­ti­on dar­auf, daß man sich wie­der ein­mal hat viel zu viel Duld­sam­keit abver­langt, zu viel Nähe zuge­mu­tet und zu wenig Ver­ste­hen auf­ge­bracht hat? War­um weh­ren sich so weni­ge gegen Über­grif­fe und lächeln sich weg? War­um kommt es dazu, daß man irgend­wann ein­fach platzt, wenn es bereits zu spät ist? Das ist fal­sche Höf­lich­keit, das ist Feig­heit, Unbe­darft­heit, Unselbst­stän­dig­keit, Unsi­cher­heit, Unmündigkeit.
    War­um haben so vie­le die Gele­gen­heit zum Bas­hing nicht ver­strei­chen las­sen, um auch mal ganz kräf­tig aus­zu­tei­len? — Die Grün­de lie­gen woan­ders, in einem all­ge­mei­nen Unglück­lich­sein, das mit dem eigent­li­chen Anlaß kaum etwas zu tun hat. 
    In einem Man­gel an Den­ken und Spra­che lie­gen die eigent­li­chen Grün­de. Daher lau­fen die Kon­flik­te völ­lig aus dem Ruder nach dem Mot­to: Und was ich Dir über­haupt immer schon mal sagen woll­te…! — Macht­wor­te sind Ver­laut­ba­run­gen einer Ohn­macht, aus Grün­den der Spra­che, des Den­kens und aus Man­gel an Geist.
    Als Etho­lo­gen einem Volk ohne Fern­se­her vom Welt­krieg erzähl­ten, haben sich die­se zunächst köst­lich amü­siert. So etwas bräuch­ten sie auch mal. Offen­bar dach­ten sie an eine zünf­ti­ge Wirts­haus­schlä­ge­rei, die sie auch noch nicht kann­ten. — In einem Sci­ence Fic­tion las ich mal über eine frem­de Spe­zi­es, sie sei­en ursprüng­lich sehr krie­ge­risch gewe­sen, dann aber hät­ten sie sich selbst immer wei­ter pazi­fi­ziert. Aber von Zeit zu Zeit bräuch­ten sie noch eine Drang­wä­sche, ein bemer­kens­wer­tes Wort für das, was da gera­de vor sich geht.
    Es ist vie­len zu eng gewor­den. Es wäre aber bes­ser, ein­an­der mehr Raum zu gewäh­ren. Raum gewäh­ren kann man auch durch mehr Ver­ständ­nis, etwa für die, die sich gera­de völ­lig ver­un­si­chert in den Geschäf­ten bewe­gen, daß jetzt kei­ne Mas­ken­pflicht mehr herrscht. Aber wo kom­men wir da jetzt hin, wenn jeder wie­der macht was er oder sie will! – Genau das ist das Pro­blem, die­ses unaus­ge­spro­che­ne Miß­trau­en, der ver­bor­ge­ne Selbst– und Menschenhaß.
    Der Libe­ra­lis­mus steht einer rechts­ka­tho­li­sche Tie­fen­ge­sin­nung gegen­über und einer Rei­he von selbst­über­zeug­ten Bes­ser­wis­sern, die in sich das Poten­ti­al zum guten Dik­ta­tor ver­spü­ren. Nicht nur Krieg, son­dern auch Dik­ta­tur scheint wie­der machbar.
    Aber der Libe­ra­lis­mus hat den Huma­nis­mus auf sei­ner Sei­te. Er kann sagen, war­um wir uns in unse­rer Frei­heit selbst fin­den und ent­wickeln müs­sen. Nur so wird aus Men­schen das, was sich aus ihrer Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schich­te längst her­aus­le­sen läßt, Wesen indi­vi­du­el­ler Weis­heit, Selbst­ver­ant­wor­tung, Empa­thie, Authen­ti­zi­tät und einem immens gestie­ge­nen Verbalisierungsvermögen.
    Erst wenn wir sagen kön­nen, was mit uns und der Welt nicht stimmt, wenn wir auch in der Bewegt­heit noch die Con­ten­an­ce bewah­ren kön­nen, um uns gleich­wohl nicht unter­but­tern zu las­sen, erst dann sind wir auf dem rich­ti­gen Weg. — Dabei ist die Bezeich­nung Homo sapi­ens bis­lang nur eine Anmaßung.
    Die letz­te aller Kom­pe­ten­zen ist die schwer­ste von allen, das ist in jeder Ent­wick­lung so. Sich selbst mode­rie­ren zu kön­nen, freund­schaft­lich, ver­ständ­nis­voll und hoff­nungs­voll, das ist ein­zig das, was zählt. Der Staat hat über­haupt nicht das Recht, sich da ein­zu­mi­schen. Er hat nicht die Auf­ga­be, über die Gesell­schaft zu herr­schen, er hat ihr zu die­nen, um sie dar­in zu unter­stüt­zen, zu sich selbst zu kom­men. — In Päd­ago­gik und Psy­cho­lo­gie ist das der sta­te of the art, alle Eltern wis­sen das.
  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Melancholie,  Motive der Mythen,  Psychosophie,  Religion,  Theorien der Kultur,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Wenn Worte sich enthalten

    Erlösung gibt es nur durch Sprache, aber was, wenn die Worte fehlen?

    Wenn Wor­te feh­len, suchen wir stam­melnd nach Bei­spie­len: Es ist wie…, es ist wie…, es ist wie… – Ja wie denn? 

    Wenn etwas gesagt wer­den soll, aber eigent­lich gar nicht klar ist, was denn jetzt und vor allem wie, dann ste­hen die, die sich jetzt mal äußern sol­len wie Leh­rer vor einer Klas­se von Schü­lern, die den Teu­fel tun wer­den, sich jetzt zu melden. 

    Kei­nes der bekann­ten Wor­te wird sich bereit erklä­ren für ein sol­ches Him­mel­fahrts­kom­man­do, dar­stel­len zu sol­len, wie es denn so ist, ein Impf­geg­ner zu sein und gegen den Strom zu schwin­gen. Ein Stu­dent sag­te mal im Semi­nar, da müs­se man auf­pas­sen, nicht blaue Augen zu bekom­men, wenn man gegen den Strom schwimmt. Auf Nach­fra­ge erklär­te er dann das köst­li­che Bild, die blau­en Augen ent­stün­den durch Zusam­men­stö­ße mit ent­ge­gen­kom­men­den Fischen. 

    Gust­ave Doré: Die baby­lo­ni­sche Sprach­ver­wir­rung (1865ff.).

    Im Coro­na-Dis­kurs ist Ver­ste­hen aus vie­ler­lei Grün­den ganz beson­ders schwie­rig, weil im Hin­ter­grund tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta das Orche­ster der Gefüh­le diri­gie­ren und tag­täg­lich neue Äng­ste geschürt wer­den. Die mei­sten “Recht­gläu­bi­gen” bemer­ken nicht ein­mal, daß sie sich ange­paßt haben und tun­lichst nur ange­paß­te Wor­te ver­wen­den aber gar nicht die eige­nen. Vie­le beten nur nach und kom­men dann auch sehr schnell ins Stam­meln, wenn sie ihrer­seits begrün­den sol­len, was sie war­um für rich­tig halten. 

    Tat­säch­lich ist es unge­heu­er schwer, etwas zu ver­ste­hen, in dem man sich gera­de befin­det. Man kann in einer Höh­le nicht erklä­ren, daß man sich in einer Höh­le befin­det, ohne daß die, denen man das gern mit­tei­len möch­te, schon mal davon gehört haben, daß es auch ein Außer­halb gibt. Das ist die berühm­te Alle­go­rie in Pla­tons Höh­len­gleich­nis mit dem sich Pla­ton an den Athe­nern bis in aller Ewig­keit revan­chiert, daß sie sei­nen gelieb­ten Leh­rer zum Tode ver­ur­teilt haben, weil er den Main­stream gestört hat beim Nichtdenken. 

    Die Spra­che ist das Haus des Seins, sagt Heid­eg­ger und in der Tat ist die­se der “Wein­berg”, von dem die Chri­sten so gern reden. Die Erwei­te­rung des Aus­drucks­ver­mö­gens ist alles entscheidend. 

    Das ist ja gera­de das Schlim­me an einem Trau­ma, es lastet auf der See­le, ohne daß man sich davon erleich­tern könn­te. Das wür­de nur gehen, wenn man es mit-tei­len wür­de. Aber dazu sind Wor­te nötig, die sich frei­wil­lig mel­den und sagen: Ich ver­su­che das jetzt mal. Aber die mei­sten die­ser muti­gen Wor­te kom­men dabei um. Mutig sein allein genügt näm­lich nicht.

    Außer­dem ist da noch die Gram­ma­tik, und die ist weit mehr, als nur das, was man im Deutsch­un­ter­richt zu hören bekommt. In der Phi­lo­so­phie gibt es “Onto­lo­gien”, das sind “Seins­leh­ren”, die zu ande­ren Zei­ten ernst­haft ver­tre­ten und auch geglaubt wur­den, wo dann eben so Neben­säch­lich­kei­ten drin ste­hen, wie etwa die “Natur des Men­schen, des Man­nes oder auch der Frau”. 

    Man soll­te nicht zu hart mit ande­ren Epo­chen ins Gericht gehen, denn die­se hat­ten auch ihre Pro­blem, nur ande­re als wir. – Man hat das eben geglaubt, daß es so etwas wie eine fixier­te Natur gibt und das war wohl auch gut so, weil einem die Welt ohne­hin bereits über den Kopf gewach­sen war. 

    Nun nimmt im Zuge der Kul­tur­ge­schich­te das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen immer wei­ter zu. Daher braucht es stän­dig neue, bes­se­re, tie­fe­re Wor­te, aber auch die Gram­ma­tik muß sich öff­nen für die neu­en Fäl­le des Lebens. Sie darf und soll neu­en Lebens- und Emp­fin­dungs­for­men nicht ihre Exi­stenz­be­rech­ti­gung aberken­nen, indem sie gar nicht zuläßt, das so etwas über­haupt gesagt wer­den kann. – Wenn die Wor­te falsch sind, füh­ren sie in die Irre, wenn die Gram­ma­tik nicht mit­spielt, dann bleibt nur Stam­meln, das kei­ner versteht. 

    Daher müs­sen wir mit dem, was wir zu sagen hät­ten, aber noch gar nicht wirk­lich mit-tei­len kön­nen, ziem­lich lan­ge hadern. Wir müs­sen mit der Schul­klas­se unse­rer Wor­te vie­le Dis­kus­sio­nen füh­ren, bis eini­ge sagen, ich ken­ne da wen, der das kann, den hole ich mal. – Wir brau­chen die Musen dazu, denn erst sie schen­ken uns die nöti­gen Inspi­ra­tio­nen, etwas Unsäg­li­ches doch zur Spra­che zu bringen. 

    Einer der Ankla­ge­punk­te im Pro­zeß gegen Sokra­tes, neben dem ehren­wer­ten Vor­wurf, er wür­de die Jugend (zum Den­ken) ver­füh­ren, bestand dar­in, er wür­de “frem­de Göt­ter” ein­füh­ren. Man soll­te hier nicht auf der Über­hol­spur den­ken, son­dern das Gan­ze erst ein­mal auf sich, wie auf ein Kind wir­ken las­sen. Was kann das bedeu­ten, frem­de Göt­ter nicht ein­füh­ren zu dür­fen? – Das ist das Schö­ne am Den­ken, sich selbst dabei zuse­hen zu kön­nen, wie man “dahin­ter­kommt”. 

    Also, die Grie­chen hat­ten den Poly­the­is­mus und das muß man wie­der­um auch betrach­ten als ziem­lich kost­spie­li­ge Ange­le­gen­heit. Man kennt das noch in der Debat­te über die Fei­er­ta­ge, wo doch damals die evan­ge­li­sche Kir­che einen Fei­er­tag abge­tre­ten hat, nur um der armen Wirt­schaft zu hel­fen. Ja, an Fei­er­ta­gen wird in vie­len Sek­to­ren nicht gear­bei­tet, son­dern gezahlt, vor allem von denen, die sonst immer kassieren. 

    Sokra­tes sprach von sei­nem “Dai­mo­ni­on”, einer Art Geist, eine inne­re Stim­me, die er hört. Sie wür­de ihm nie etwas anra­ten zu tun, son­dern sich nur mel­den, sobald er etwas Ungu­tes zu tun beab­sich­ti­gen wür­de. – Wenn ich damals vom Athe­ner Gericht mit einem Gut­ach­ten betraut wor­den wäre, hät­te ich dar­zu­stel­len ver­sucht, daß es sich bei die­ser Instanz nicht um einen neu­en, frem­den Gott han­deln wür­de, der uner­laub­ter­wei­se ein­ge­führt wor­den sei, son­dern um eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung in der Psy­che und in der See­le des Sokra­tes, die weg­wei­send wer­den soll­te, die sich hier nur aus­nahms­wei­se schon ein­mal mel­den würde. 

    Ich stel­le mir also vor, daß es so etwas wie eine Ein­fuhr­be­hör­de für Göt­ter gege­ben haben muß. Wenn da also mit einer neu­en Unter­wer­fung auch die neu unter­wor­fe­nen Göt­ter ein­ge­führt wer­den müs­sen, dann wird man sich gefragt haben, also, haben wir die nicht schon, wer unse­re Göt­ter könn­te das machen? So hat Zeus an die hun­der­te zusätz­li­cher Namen, das sind alles Göt­ter aus ein­ver­leib­ten Häupt­lings­tü­mern oder König­rei­chen mit ihren höchst spe­zi­fi­schen Zuständigkeiten. 

    Es ist uner­läß­lich, den Göt­tern und zwar allen das Ihri­ge zu geben, wo nicht, droht Ärger. Etwa als, kurz bevor die Athe­ner in den Krieg zogen, irgend­wel­che Jugend­li­chen an den Her­mes­stau­et­ten, die an den Stra­ßen zu Hun­der­ten stan­den, mal so eben die eri­gier­ten Penis­se abge­schla­gen haben. 

    So ist etwa die Aphro­di­te mit rotem Haar, weil sie eben aus Zypern kommt, wo auch das Kup­fer her­stammt. Wenn man also die Aphro­di­te unge­bühr­lich behan­deln wür­de, ver­dirbt man es sich nicht nur mit der Schön­heit, son­dern auch mit den Frau­en, mit der Rol­le der Frau als sol­cher und dann auch noch mit den Zyprio­ten. – Daher muß allen Ern­stes eine Kom­mis­si­on dar­über ent­schei­den, was man denn mit einem kon­kre­ten Gott, der da neu auf­ge­tre­ten ist, anstel­len soll. Und man hat die neue Kom­pe­tenz des Sokra­tes ein­fach völ­lig falsch gedeu­tet und gar nicht verstanden. 

    Wenn die Wor­te sich drücken, wenn die Gram­ma­tik die Arme ver­schränkt und bei so etwas nicht mit­ma­chen will, dann gibt die Spra­che mit Bedau­ern zu ver­ste­hen, daß sie da jetzt auch nicht wei­ter­hel­fen könn­te. Dann hat man ein Pro­blem mit sich und den Ande­ren. Man ver­steht sich selbst nicht wirk­lich, weil die Wor­te feh­len, man wird nicht ver­stan­den, weil die Gram­ma­tik streikt für sol­che Fäl­le und zugleich spu­ken da noch tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta, von denen die mei­sten nicht ein­mal etwas ahnen. 

    Und dann wird zu Ver­glei­chen gegrif­fen, die ein­fach schräg rüber­kom­men müs­sen. Histo­ri­sche Ver­glei­che sind immer pro­ble­ma­tisch, weil es ja kon­kre­te Ver­hält­nis­se, Ereig­nis­se und Fol­gen sind, die sich so, auf die­sel­be Art und Wei­se, ganz gewiß nicht wie­der­ho­len. Ande­rer­seits sind wir dar­auf ange­wie­sen, mit Ana­lo­gien zu arbei­ten, wenn kein Wort sich traut, über­haupt Stel­lung zu nehmen. 

    Wir soll­ten das, was die Spra­che ist und was sie aus­macht, was sie kann, wo sie ihre Gren­zen hat und was wir tun kön­nen, uns mehr Aus­druck zu ver­schaf­fen, end­lich anders sehen. Die­ses nach­rich­ten­tech­ni­sche Modell von Sen­der, Emp­fän­ger und Bot­schaft ist grot­ten­schlecht und abso­lut unangemessen. 

    Es ist viel­mehr so, daß wir mit­ein­an­der im Dia­log koope­rie­ren müs­sen, wenn wir etwas vor­stell­bar machen wol­len, um dann erst das Urteil eines Freun­des oder einer Freun­din zu erbit­ten. Ande­re kön­nen uns erst dann wirk­lich etwas anra­ten, wenn sie uns ver-ste­hen, das heißt, wenn sie aus unse­rer Posi­ti­on her­aus ihre Stel­lung­nah­me abge­ben. – Zu hoch? Da kann ich dann auch nicht mehr helfen. 

    Man ach­te bit­te ein­mal dar­auf, wie vie­le “Regie­an­wei­sun­gen” da ein­an­der gege­ben wer­den: “Nein, so ist das nicht. Du mußt Dir das anders vor­stel­len, etwa wie, wenn…” – Ver­ste­hen ist Arbeit, auch wenn das unter Freun­den nicht so gese­hen wird. Den­ken ist ähn­lich, es ist ein Dia­log der See­le mit sich selbst.

    Und die­ses Boh­ren ganz dicker Bret­ter, wie Max Weber die Poli­tik cha­rak­te­ri­siert, um Gesin­nungs­tä­ter, Tugend­wäch­ter und Hitz­köp­fe von irgend­ei­ne Pro­pa­gan­da durch die Tat abzu­brin­gen, ist genau das. Poli­tik ist, wenn sie wirk­lich etwas lei­stet, der Ver­such, neue Zugän­ge zu fin­den, durch Spra­che, Ver­ste­hen und neue Gemeinsamkeiten. 

    Das macht dann in der Tat den Jar­gon der Diplo­ma­tie so inter­es­sant. Was macht man, wenn man nicht ein­mal “Bezie­hun­gen” zuein­an­der hat? Man besucht sich, spricht mit­ein­an­der, sucht nach “Gemein­sam­kei­ten”, bis man dann eine “gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” fin­det, auf der wei­te­re “Kon­sul­ta­tio­nen” statt­fin­den kön­nen. Und das wäre nur der aller­an­fäng­lich­ste Anfang.

    Impf­gläu­bi­ge wol­len immer gleich mit den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen begin­nen. Sie spre­chen den Ungläu­bi­gen ein­fach ab, daß es so etwas wie sie über­haupt geben kön­ne. – Es ist aber naiv zu erwar­ten, daß es in der Coro­na-Kri­se nur einen ein­zig rich­ti­gen Glau­ben gibt. 

    Coro­na ist nur so stark, weil vie­le unse­rer Syste­me erstaun­lich schwach sind. Es ist gut zu wis­sen, dann wird man in Zukunft weit weni­ger ver­trau­en, son­dern sehr viel mehr kri­tisch sein und blei­ben müs­sen. – Aber auch das muß erst ein­mal zur Spra­che gebracht wer­den, mit den rich­ti­gen Wor­ten und einer Gram­ma­tik, die neu­en Gedan­ken auf­ge­schlos­se­ner ist als die Angst­rhe­to­rik unse­rer Tage. 

    Es bleibt nur, mit dem Kopf immer wie­der gegen die Gren­zen der Spra­che anzu­ren­nen und der­weil die Musen dar­um zu bit­ten, das Gespür für die rich­ti­gen Meta­phern zu schenken. 

  • Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Motive der Mythen,  Professionalität,  Wissenschaftlichkeit

    Mauern im Schlamm

    Exakter Unsinn mit Metaphern

    Das pas­siert, wenn man offen­bar nur Viro­lo­gie, bzw. Gesund­heits­öko­no­mie stu­diert hat. Dann fehlt die huma­ni­sti­sche Bil­dung, was zu sehen ist an der gro­tes­ken Unfä­hig­keit, mit Meta­phern über­haupt umge­hen zu kön­nen. — Dabei sind Modell­vor­stel­lun­gen gera­de in den Natur­wis­sen­schaf­ten, die ja angeb­lich nicht reden, son­dern nur rech­nen, von außer­or­dent­li­cher Bedeutung.

    Bei die­sem irr­wit­zi­gen Gestam­mel über Rei­fen, Schlamm­pi­sten, Ber­ge und Mau­ern, bleibt nur Lud­wig Witt­gen­stein: “Wor­über man nicht reden kann, dar­über soll man schweigen.”

    Es ist ein Anfän­ger­feh­ler beim Meta­pho­ri­sie­ren, den bei­de arg­los bege­hen: Es ist zunächst ein­mal drin­gend zu ver­mei­den, etwas Orga­ni­sches mit etwas Mecha­ni­schem gleich­zu­set­zen. Eine sol­che Über­tra­gung muß schief gehen. Bei­spiel: Frau­en sind wie Blu­men, Män­ner wie Rasen­mä­her. — Der Witz ent­steht allein durch die Unver­ein­bar­keit der Meta­phern. Und selbst­ver­ständ­lich wer­den Man­che die­se Aus­sa­ge als sol­che rhe­to­risch zu nut­zen ver­ste­hen. Das ist so.
    Wer sich auf Meta­phern ein­läßt, soll­te schon wis­sen, was dann geschieht. Wer das nicht kann, ist eigent­lich nicht ein­mal Wis­sen­schaft­ler, weil die Fähig­keit, sich in und mit Model­len auch all­ge­mein ver­ständ­lich zu machen, schlicht­weg dazu gehört. — Man wird sich näm­lich schon fra­gen, wenn so gestam­melt wird, was Dro­sten und Lau­ter­bach eigent­lich wirk­lich ver­ste­hen und ver­stan­den haben, wenn sie so unbe­hol­fen reden und dabei völ­lig ver­las­sen sind von allen guten Gei­stern, die in der Spra­che wohnen.

    Wenn etwa Ein­stein sagt: “Gott wür­felt nicht”. Dann will er zwar kei­ne Theo­lo­gie betrei­ben, son­dern “nur” den Uni­ver­sal­an­spruch der Mathe­ma­tik behaup­ten. Den­noch hat er zugleich auch Theo­lo­gie betrie­ben, denn wenn Gott über­haupt nicht wür­felt, dann wäre er gar kein The­ma mehr, nicht nur für die Phy­sik. Also hat er Theo­lo­gie betrie­ben und sich des­halb übernommen.

    Das ist das Schö­ne, Amü­san­te und für Unbe­ru­fe­ne auch Bedroh­li­che beim Meta­pho­ri­sie­ren. Man kann förm­lich sehen, wie die aus man­geln­dem Sprach­ge­fühl oder auch, weil nicht zu Ende gedacht wor­den ist, falsch gewähl­ten Meta­phern dar­auf­hin post­wen­dend über den Red­ner her­fal­len oder ihm heim­tücki­sche Fal­len stel­len. Nicht sel­ten wird Red­nern dann etwas in den Mund legen, was sie gar nicht gesagt haben woll­ten. Ein berühm­tes Bei­spiel ist die Jenninger–Rede.
    Wenn bei­spiels­wei­se irgend­wo die Lei­tung einer Insti­tu­ti­on wei­ter­ge­ge­ben wird, dann gibt es immer die­se gro­tes­ken Unbe­hol­fen­hei­ten, die zugleich sehr tief blicken las­sen. Die bei der “Wach­ab­lö­sung” all­seits belieb­te Meta­pher vom “Kapi­tän eines Schif­fes”, also dem “Steu­er­mann”, ist sel­ten schwer beherrsch­bar. – Daher ist es immer beson­ders span­nend, dabei zu sein, um zu sehen, wann und wie der Schiff­bruch sol­cher Red­ner kommt, die nicht sel­ten blank zie­hen, ohne es zu wollen. 
    Hin­ter den Kulis­sen las­sen sich auf­grund der heim­tücki­schen Attacken wider­spen­sti­ger Nar­ra­ti­ve vie­le der eigent­li­chen Inten­tio­nen, der Selbst­zwei­fel und auch der Anma­ßun­gen ziem­lich genau erken­nen. Das geschieht unmit­tel­bar dann, sobald eine Meta­pho­rik faden­schei­nig wird und auf­ge­setzt erscheint, also nur benutzt aber nicht auch als sol­che ernst gemeint wer­den soll. 
    “Benut­zen” las­sen sich Meta­phern schon mal gar nicht. — Das las­sen sich die anson­sten so hilf­rei­chen Gei­ster über­haupt nicht bie­ten, also wen­den sie sich gegen den, der sie als Gei­ster rief. Und tat­säch­lich, wer sich den Sprach­gei­stern nicht wür­dig, dank­bar und in gewis­ser Wei­se auch folg­sam erweist, hat auch anson­sten wohl auch noch ganz ande­re Schwä­chen. — Und ei den mei­sten steckt näm­lich Hybris dahin­ter und das fliegt auf, ange­sichts der Risi­ken, die die See­fahrt nicht nur meta­pho­risch nun ein­mal mit sich bringt. 
    Mit Viro­lo­gie hat das alles nichts zu tun, aber mit Spra­che, Kul­tur, Ver­nunft und Geist, also mit einem Immun­sy­stem, das von ganz ande­rer Klas­se ist.
    Schön ist die­ser Bei­trag, den ich hier emp­feh­len möch­te des­we­gen, weil er mir erheb­li­che Arbeit abnimmt. Ich woll­te die sprach­li­che Unbe­hol­fen­heit der Pro­fes­so­ren Dro­sten und Lau­ter­bach immer schon mal auf­spie­ßen, weil, wer so schlecht spricht, ein­fach Spott ver­dient. — Ich fand es aber irgend­wie fies, mir das alles eigens noch ein­mal anzu­hö­ren, um es mit den Mit­teln der Glos­se dann noch aufzuführen.

    Schön, daß die­se Unbe­hol­fen­heit hier inein­an­der geschnit­ten wurden.
  • Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Kunst,  Künstler,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theorien der Kultur,  Wissenschaftlichkeit

    Die Narrative der Metaphern

    Über die Magie der Sprache und die Macht der Bilder 

    Nar­ra­ti­ve, immer wie­der ist von Nar­ra­ti­ven die Rede in letz­ter Zeit. Es ist eigent­lich nur ein ande­res Wort für eine Meta­pho­rik, wobei das Nar­ra­tiv schein­bar oder tat­säch­lich noch etwas Bekennt­nis­haf­tes hat, als wäre es ein Glau­bens­be­kennt­nis­se. Man kann mit­un­ter tat­säch­lich auch den Begriff “Welt­an­schau­ung” ein­set­zen. — Nar­ra­ti­ve sind zunächst ein­mal nichts wei­ter als Erzäh­lun­gen, muster­gül­ti­ge Typen von Erzäh­lun­gen, die wir ein­set­zen, um etwas zu ver­deut­li­chen aber auch, um ande­re über den Tisch zu ziehen. 

    Nar­ra­ti­ve sind Meta­phern, also “Über­tra­gun­gen” von Sinn­zu­sam­men­hän­gen, die zumeist mit der Sache eigent­lich nicht das gering­ste zu tun haben. Nur wir stel­len die Ver­knüp­fung her, weil wir das Bild ver­ste­hen und glau­ben, wenn es sich mit der Sache auch so ver­hält, tat­säch­lich auch die Sache selbst ver­ste­hen zu kön­nen. — Man muß sich nicht schä­men, so schwer von Begriff zu sein. Das ist typisch mensch­lich und kommt in den här­te­sten Natur­wis­sen­schaf­ten vor.

    Inter­es­san­ter­wei­se arbei­ten gera­de die Natur- und Tech­nik­wis­sen­schaf­ten, die sich so viel dar­auf zu Gute hal­ten, daß sie rech­nen und nicht reden, mit erstaun­lich vie­len Meta­phern. Wenn Ein­stein behaup­tet, “Gott wür­felt nicht”, dann will er kei­ne Theo­lo­gie betrei­ben, son­dern den uni­ver­sel­len Anspruch von Mathe­ma­tik deut­lich machen. — Soll­te aber der Schöp­fer rein gar nicht gewür­felt haben, dann braucht der Phy­si­ker gar kei­nen Gott mehr, dann gin­ge alles wie von selbst, eben “evo­lu­tio­när”. Und schon haben wir das näch­ste hochwissenschaftlich–literarische Bild vom Pro­zeß natür­li­cher Gene­se, wie Dar­win es beschrie­ben hat.

    Inter­es­sant ist nun, daß Ein­stein, obwohl es ihm um Mathe­ma­tik ging, zugleich auch Theo­lo­gie betrie­ben hat, mit die­sem Nar­ra­tiv. Ob er es woll­te oder nicht, der Geist die­ser von ihm gewähl­ten For­mel besteht dar­auf, daß er auch das habe gesagt haben wol­len soll. Das ist nun der sprin­gen­de Punkt, Meta­pher unter­schie­ben uns Aus­sa­gen, die kon­se­quen­ter­wei­se aus dem Nar­ra­tiv fol­gen, aber sie unter­stel­len es in der Sache, also Vorsicht!

    Dar­win als Affe, eine Anspie­lung auf sei­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie, die sei­ner­zeit unge­heu­er­lich erschien. In: The Hor­net maga­zi­ne, 22. März 1871.

    Wer hat nicht immer­zu die­ses dar­win­sche Nar­ra­tiv im Kopf, das zumeist auch falsch ver­stan­den wird. Aber es ist nicht nur schön, son­dern vor allem bequem. Man kann sich damit man­ches erklä­ren, solan­ge man sich genü­gend kos­mi­sche Zeit nimmt. Aber das Nar­ra­tiv ent­stammt dem sei­ner­zeit so rasen­den Früh­ka­pi­ta­lis­mus. Die­ses dau­ern­de Gere­de vom Über­le­ben des Stärk­sten ist typisch deutsch, weil im Ori­gi­nal von “to fit in”, also vom Ein­ge­paßt­sein gespro­chen wird. Es über­lebt also unter Selek­ti­ons­be­din­gun­gen genau das­je­ni­ge Indi­vi­du­um, das am besten “ange­paßt ist”, näm­lich an sei­ne Umwelt. — Es ist schön, über Nar­ra­ti­ve zu ver­fü­gen, so weit die Füße tra­gen. Inter­es­sant wird es, wenn sie aber kollabieren. 

    Die Zeit ist näm­lich dank­bar, ver­weist sie doch so gern kapi­ta­li­stisch auf die als Natur­zu­stand beschrie­be­nen Ver­hält­nis­se der frei­en Wild­bahn, was angeb­lich auf die “freie Wirt­schaft” und vor allem auf die “frei­en Märk­te” zutref­fen soll. Dabei wird schnell sicht­bar, daß es auch Ammen­mär­chen sind, die gern erzählt wer­den, wenn mit sol­chen Nar­ra­ti­ven eine unso­li­da­ri­sche Poli­tik des wirt­schaft­li­chen Frei­beu­ter­tums als “natür­lich” legi­ti­miert wer­den soll. — Ein rus­si­scher Anar­chist, Fürst Igor Kro­pot­kin, hat ein ande­res Nar­ra­tiv dage­gen gesetzt, das auch mit der Dar­win­schen Evo­lu­ti­ons­theo­rie kom­pa­ti­bel ist, das Prin­zip von der “Gegen­sei­ti­gen Hil­fe”, daß sich eben die Beu­te­tie­re zusam­men­tun kön­nen, um den Habicht abstür­zen zu las­sen, eben durch Schwarmintelligenz. 

    Nun dürf­te klar gewor­den sein, wie sehr mit Nar­ra­ti­ven die Richt­li­ni­en der Poli­tik bestimmt wer­den, durch die Macht der Bil­der. Dage­gen wie­der­um kann man sich nur ver­wah­ren durch ein wenig huma­ni­sti­sche Bil­dung und durch Meta­phoro­lo­gie. Es macht aber auch Freu­de, ein sol­ches Bild ernst zu neh­men wie ein Kind, um dann immer wei­ter zu fra­gen: Also wenn in der Natur die Zeit reich­lich knapp ist wegen der Fein­de und der drin­gend not­wen­di­gen Fort­pflan­zung, wie­viel Zeit hat eigent­lich eine Orchi­dee, wenn sie mit einer Inno­va­ti­on her­aus­kom­men möch­te, um am “Markt” zu bestehen?

    Jean-Bap­ti­ste Bar­la: Flo­re illu­strée de Nice et des Alpes-Mari­ti­mes, Ico­no­gra­phie des orchi­dées. Nice 1868.

    Also, wenn sich eine Orchi­dee eine Inno­va­ti­on hat ein­fal­len las­sen wie die, einen Hum­mel­hin­tern zu simu­lie­ren, nebst dazu pas­sen­der Phe­ro­mo­ne, um Hum­mel­männ­chen rasend wild zu machen, so daß sie die Blü­te begat­ten und dabei miß­braucht wer­den, um Bestäu­bungs­ar­beit für die Pflan­ze zu lei­sten, dann möch­te ich gern wis­sen, wie lan­ge Zeit die Orchi­dee hat­te, den Hum­mel­hin­ter doch eini­ger­ma­ßen echt hin­zu­be­kom­men. Wenig­stens fal­len die Männ­chen ein­mal dar­auf her­ein, dann sinkt die Begei­ste­rung sta­ti­stisch gese­hen rapi­de ab. 

    Genau­so ver­hält sich das mit den Bil­dern, sie sind wie Zau­ber­künst­ler und machen uns was vor. Man soll­te aber immer dort­hin schau­en, wovon man abge­lenkt wird durch die Macht der Bil­der. Es ist so schön, etwas ver­stan­den zu haben, es ist aber schlimm, auf einem Holz­weg zu sein. — Vie­le derer, die von Nar­ra­ti­ven spre­chen, mei­nen vor allem die mani­pu­la­ti­ve Macht, die sie selbst nut­zen oder viel­leicht auch auf­klä­ren helfen. 

    Seit Goe­thes Zau­ber­lehr­ling ist es offi­zi­ell, daß man die Gei­ster, die man ruft auch wie­der los­wer­den muß. Es ist eine Erfah­rung, die jedes Kind macht, daß eine klei­ne Flam­me nur ein wenig Nah­rung braucht und schon wächst sie einem über den Kopf. — Man soll­te also bei der Wahl der Meta­pho­rik ganz beson­ders vor­sich­tig sein. Dar­um geht es eigent­lich, wenn in der Diplo­ma­tie so schön ver­klau­su­liert von der Suche nach einer “gemein­sa­men Gesprächs­grund­la­ge” gespro­chen wird, das sind die ent­schei­den­den Narrative. 

    Wenn bei­spiels­wei­se in der aktu­el­len Corona–Krise so etwas wie eine “mora­li­sche Pflicht” kon­sta­tiert wird, sich aus Grün­den der “Soli­da­ri­tät” imp­fen zu las­sen, dann steckt ein Nar­ra­tiv dahin­ter, das man nicht wirk­lich tei­len muß. Man kann nicht nur, son­dern soll­te zurück­fra­gen, ob die­se, unse­re Gesell­schaft denn ihrer­seits soli­da­risch ist, oder nicht viel­mehr betont lieb­los. Nimmt sie denn die Rück­sicht auf die Armen und Schwa­chen, denen es im Ver­lauf die­ser Kri­se immer schlech­ter ergeht? Nimmt sie denn Rück­sicht auf die Pfle­ge­kräf­te und nicht viel­mehr auf maro­de Ver­hält­nis­se im Gesund­heits­sy­stem, die sie selbst zu ver­ant­wor­ten hat, als man Kli­ni­ken zu Spe­ku­la­ti­ons­ob­jek­ten gemacht hat? 

    Der Zau­ber­trick, den man durch­schau­en soll­te, liegt dar­in, bewußt die Unter­schie­de zu ver­decken zwi­schen Gesell­schaft und Gemein­schaft. Eine Gemein­schaft kann und darf Soli­da­ri­tät ihren Mit­glie­dern abver­lan­gen und sogar erwar­ten, eine Gesell­schaft wie die unse­re, kann es, je weni­ger sie vom Geist der Gemein­schaft beseelt ist, umso weni­ger. So erklä­ren sich auch die Unter­schie­de im Staats­ver­trau­en. Die Nord­län­der sind nie so ver­führt, betro­gen und miß­braucht wor­den von ihrem eige­nen Staat wie die Deut­schen. Da wäre mal Abbit­te zu lei­sten. Die Sonn­tags­re­den an den Kranz­ab­wurf­stel­len der Repu­blik sind inzwi­schen nicht mehr statt­haft. Wer will das denn noch glau­ben, daß hier in unse­rem Lan­de die Grund­rech­te gewahrt wer­den, wenn sie bei der ersten Bela­stung aus­ge­setzt werden?

    Ganz anders, wenn es sich um wirk­li­che Gemein­schaft han­delt. In der Afri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phie ist „Ubun­tu“, der afri­ka­ni­sche Glau­be dar­an, daß wir das, was wir sind, den Men­schen um uns her­um ver­dan­ken. — Wäh­rend es hier bei uns nur eine Leih­mut­ter, eine Nan­ny und eine Pri­vat­schu­le braucht, um ein Kind zu ‘erzie­hen’, neh­men Afri­ka­ner bekannt­lich gan­ze Dör­fer dazu.

    So gese­hen ist der ‘freie’ Westen ein­fach nur geistig–soziales Ent­wick­lungs­land. Wir soll­ten daher die Phi­lo­so­phie der Afri­ka­ner end­lich zur Kennt­nis neh­men, dann wür­de es auch bei uns mit der Soli­da­ri­tät funk­tio­nie­ren. — Nur Gemein­schaf­ten kön­nen Soli­da­ri­tät zu erwar­ten, Gesell­schaf­ten mitnichten.

    Daher steht in sol­chen Kul­tu­ren der Aus­gang eines Ritu­als oft­mals von vorn­her­ein fest, Beschlüs­se kön­nen nur ein­stim­mig gefaßt wer­den. Alles wird getan, auf daß bloß kei­ne Ant­ago­nis­men auf­tre­ten. Es soll und darf kei­ne Ver­lie­rer geben. — Ein in die­sem Zusam­men­hang belieb­tes und instruk­ti­ves Bei­spiel stammt von dem Eth­no­lo­gen K. E. Read:
    “Als die Gahuku–Gama auf Neu­gui­nea anfin­gen, Fuß­ball zu spie­len, konn­ten zwei geg­ne­ri­sche Klans tage­lang um den Aus­gang spie­len — so lan­ge, wie es not­wen­dig war, um ein Unent­schie­den zu erzie­len”. (K. E. Read: Lea­der­ship and Con­sen­sus in a New Gui­nea Socie­ty. In: Ame­ri­can Anthro­po­lo­gist, 1959, N.S., 61 (3). S. 428, zit. n.: Heinz-Ulrich Nen­nen: Öko­lo­gie im Dis­kurs. Zu Grund­fra­gen der Anthro­po­lo­gie und Öko­lo­gie und zur Ethik der Wis­sen­schaf­ten. Mit einem Geleit­wort von Die­ter Birn­ba­cher; Opla­den 1991. S. 51.)

    ‘Gewin­nen’ bedeu­tet im Sym­bo­lis­mus sol­cher Kul­tu­ren ‘töten’. — Ich fra­ge mich da immer: Wer sind eigent­lich die Primitiven? 

    Meta­phern sind frem­de, eigen­sin­ni­ge aber auch hilf­rei­che Gei­ster der Sinn­stif­tung, auf die wir ange­wie­sen sind, weil wir anson­sten “nur Bahn­hof ver­ste­hen”, wie jene Sol­da­ten, die nur nach Hau­se woll­ten, also “Bahn­hof” hören woll­ten. — Da wir nun ein­mal die Sachen nicht gleich durch­schau­en, son­dern nur mit über­tra­ge­nen Bil­dern indi­rekt deu­ten kön­nen, müs­sen wir uns behel­fen mit Sprach­bil­dern, Dia­lo­gen und Diskursen. 

    Der Jar­gon der Diplo­ma­ten in sei­ner trocke­nen, über­sach­li­chen, minu­tiö­sen Klein­ka­riert­heit läßt durch­blicken, wor­auf es ankommt, wenn man sich auf eine “For­mel” als “gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” einigt, so daß bald die “Ver­hand­lun­gen auf die­ser Grund­la­ge” begin­nen kön­nen. — Die Wahl des Nar­ra­tivs ist aber auch wie ein Got­tes­ur­teil, denn nie­mand weiß im Vor­aus genau, ob die gewähl­te Meta­pher für die eige­nen Inter­es­sen die not­wen­di­gen Gele­gen­hei­ten bie­ten wird, um mög­lichst viel her­aus­ver­han­deln zu kön­nen für die eige­nen Seite. 

    Unse­re Spra­che ist ein Wun­der­werk, bei dem wir uns zu behel­fen wis­sen, um Sachen zur Spra­che zu brin­gen, für die die Wor­te ver­sa­gen. Es hat etwas mit Magie zu tun, dann zu sehen, wie ein Bild die Ima­gi­na­ti­on augen­blick­lich gefan­gen nimmt und alles glaubt, urplötz­lich zu ver­ste­hen. Dabei ver­steht man vor allem das Bild und glaubt, damit auch in der Sache wei­ter­zu­kom­men. Vorsicht!

    Wenn eine Meta­pho­rik im Ver­lauf eines Gesprächs aus dem Ruder läuft und immer mehr in eine uner­wünsch­te, nicht mehr kon­struk­ti­ve Rich­tung ver­läuft, dann soll­te man das sagen und dar­auf­hin vor­schla­gen, gemein­sam die Rich­tung zu ver­än­dern. Es ist wie im Netz­plan einer U‑Bahn. Wich­tig ist, sich zuvor mög­lichst offen und höf­lich und dank­bar von der nun­mehr zu ver­las­sen­den meta­pho­ri­schen “Linie” zu verabschieden. 

    Sie muß offi­zi­ell ver­ab­schie­det wer­den, wie ein Geist, der anson­sten unge­müt­lich wer­den könn­te. Auch kom­men Zuhö­rer, die nicht ganz bei der Sache sind, mit abstru­sen Rück­fra­gen, wor­auf ein heil­lo­ses Durch­ein­an­der ent­ste­hen kann. — Daher trifft das Bild vom “Mit­neh­men” sol­che Pro­zes­se der Ver­stän­di­gung über Ver­ste­hen so gut. 

    Immer­hin tut man sich da mit mäch­ti­gen Gei­stern zusam­men, die erheb­li­che Pro­ble­me berei­ten kön­nen und schnell eine gewis­se Eitel­keit an den Tag legen, wenn sie nicht gewür­digt wer­den. Meta­phern wol­len im Gei­ste ihres Nar­ra­tiv gewür­digt wer­den, es darf und kann daher nur das gesagt wer­den, was die­sem Geist ent­spricht. — Wenn das aber beim besten Wil­len nicht geht, muß die Meta­pho­rik aus­ge­tauscht wer­den. Aber die ande­ren müs­sen dabei mit­ge­hen, anson­sten wird man unter Umstän­den das Nach­se­hen haben. 

    Cas­par David Fried­rich: Das Eis­meer (1823f.)

    Wer sich auf eine Meta­pho­rik ein­läßt, ver­spricht sich etwas davon, also einen Gewinn von Ver­ste­hen, einen Zuge­winn an Sinn oder viel­leicht auch die Über­zeu­gung Anders­den­ken­der. Aber das kann alles schei­tern. Es gibt daher zwei Meta­phern, die unser Sein dar­stel­len, die Meta­pher vom Thea­ter und die von der See­fahrt. Dabei kön­nen die Plan­ken, die beim Unter­gang blei­ben, zu den Bret­tern wer­den, die die Welt bedeuten. 

    Nar­ra­ti­ve zu benut­zen, ist aben­teu­er­lich wie eine See­fahrt aufs offe­ne Meer, was zu ande­ren Zei­ten noch viel ris­kan­ter war. Die Risi­ken beim Meta­pho­ri­sie­ren sind der­weil nicht etwa klei­ner, son­dern eher grö­ßer gewor­den, weil unse­re Ansprü­che auf Begrün­dun­gen selbst grö­ßer gewor­den sind.

    Wenn ein Red­ner sei­nen Schiff­bruch erlei­det, dann ver­merkt das Pro­to­koll im Bun­des­tag dar­über eine “all­ge­mei­ne Hei­ter­keit” vor allem dann, wenn einer am Geist einer selbst gewähl­ten Meta­pho­rik schei­tert, wie etwa der FDP–Abgeordnete Gün­ter Ver­heu­gen, der eine etwas degou­tan­te Vor­la­ge von Josch­ka Fischer ver­such­te, in einen Tref­fer zu ver­wan­deln aber ein Eigen­tor schießt: 

    “Immer­hin gelingt es auch Gün­ter Ver­heu­gen in sei­ner Rede, Kohl und das Hohe Haus zu amü­sie­ren. Ver­heu­gen spricht kri­tisch von einem ‘Kanz­ler des Still­stands, der in sich ruht wie ein chi­ne­si­scher Bud­dha’. Kohl ruft dazwi­schen: ‘Gefällt mir gut.’ Ver­heu­gen fas­sungs­los: ‘Gefällt Ihnen gut?’ ” Man sieht, wie Kohl augen­blick­lich von der Regie­rungs­bank zum Tele­fon­hö­rer greift. 

    Minu­ten spä­ter erläu­tert Kohl, “war­um er den Ver­gleich mit Bud­dha so schät­ze. Von der Regie­rungs­bank aus habe er sich tele­fo­nisch infor­miert und aus einem Lexi­kon erfah­ren, daß Bud­dha als Per­sön­lich­keit ‘sich durch Lebens­ernst, Sinn für das Wirk­li­che und Nöti­ge, Mäßi­gung und Aus­dau­er’ aus­ge­zeich­net habe. Jetzt muß selbst Ver­heu­gen lachen. Kohl bedankt sich für soviel Lob von der SPD und sagt: ‘So hat mich mei­ne Par­tei nie ver­wöhnt.’ Was Bud­dhas Eigen­schaf­ten ange­he, so sei er bereit, ‘all das zu akzep­tie­ren’. Eine Ein­schrän­kung macht der Pfäl­zer jedoch: ‘Mit der Mäßi­gung hab’ ich gewis­se Pro­ble­me, die tei­le ich mit dem Vor­sit­zen­den der Grü­nen-Frak­ti­on, eine der weni­gen Gemein­sam­kei­ten. Kohl ver­gleicht sich im Par­la­ment mit Josch­ka Fischer.” (Mar­tin S. Lam­beck: “So hat mich mei­ne Par­tei nie ver­wöhnt”. Schlag­ab­tausch mit Respekt: “Bud­dha” Kohl zwi­schen Fischers Häme und Ver­heu­gens “Lob”. In: Die Welt, 9.11.1995.)

    Die Tita­nic, die Meta­pher aller Schiffs­me­ta­phern, als Inbe­griff von Hybris und als Demü­ti­gung des moder­nen Größenwahns.

    Es gibt eini­ge wirk­lich schil­lern­de Bespie­le für die Eigen­dy­na­mik der Nar­ra­ti­ve und den Schiff­bruch von Red­nern. — Eine Meta­pho­rik hat eben ihr Nar­ra­tiv und dem muß man fol­gen. Wer einen sol­chen Geist ruft, wird sich nolens volens auf das Schick­sal ein­las­sen müs­sen, unmit­tel­bar dar­auf nicht mehr wirk­lich der Herr des Ver­fah­rens zu sein, so auch bei einer Bege­ben­heit, die der Mün­ste­ra­ner Phi­lo­soph Hans Blu­men­berg erwähnt.

    “In der Haus­halts­de­bat­te schil­dert ein Abge­ord­ne­ter der Regie­rungs­ko­ali­ti­on den festen Kurs, den das Staats­schiff dank der koalier­ten Besat­zung habe, und ver­gleicht die Oppo­si­ti­on mit unru­hi­gen Pas­sa­gie­ren, die einen Nach­hol­kurs in Navi­ga­ti­on neh­men müß­ten, um eines Tages wie­der auf die Kom­man­do­brücke zu kommen.
    Zwi­schen­ruf der Oppo­si­ti­on: ›Wir sit­zen nicht in einem
    Boot.‹ —
    Red­ner: ›Ich spre­che von dem Schiff unse­res Lan­des, und
    dazu gehö­ren Sie doch!‹ —
    Zwi­schen­ruf Weh­ner: ›Er ist ein blin­der Passagier!‹ —
    Zwi­schen­ruf Oppo­si­ti­on: ›Sie sit­zen bald auf Grund, wenn
    Sie so weitermachen.‹ —
    Als der Red­ner sei­nen Vor­trag mit noch­ma­li­gem Gebrauch
    der Meta­pher schließt: ›Weil die­ses Schiff den richtigen
    Kurs hat und damit es wei­ter­hin gute Fahrt macht …,‹
    bekommt er beim Abgang als letz­ten Ruf:
    ›Und Sie sind der Klabautermann.‹”

    (Hans Blu­men­berg: Schiff­bruch mit Zuschau­er. Para­dig­ma einer Daseins­me­ta­pher. Frank­furt am Main 1979. Anm. 5, S. 14.)

    Die Wahl der Meta­pher ist ent­schei­dend, je nach­dem erhält man Zuspruch vom Geist einer Meta­pher und ihrem Nar­ra­tiv oder aber eine Abfuhr. Dabei haben wir die Wahl zwi­schen Hafen und offe­ner See nicht wirk­lich. Betrach­tet aus der unmensch­li­chen Lan­ge­wei­le im Para­dies­gar­ten war die neue App vom Baum der Erkennt­nis, also selbst­stän­dig zwi­schen dem Guten und dem Bösen unter­schei­den zu kön­nen, ein­fach zu verlockend.

    Aber auch damals schon wur­de das Klein­ge­druck­te im Para­diesver­trag zu schnell weg­ge­klickt, denn dort steht, daß es unend­lich lang dau­ern könn­te, bis Men­schen zu Göt­tern wer­den, mit allem, was dazu gehört nicht nur an Mäch­ten, son­dern auch an Kompetenzen. 

    Einst­wei­len soll­te gut über­legt wer­den, ob man nun die “Ehe als Hafen” mit para­die­si­scher Lan­ge­wei­le betrach­tet oder eher als “See­fahrt” mit der Aus­sicht auf Kata­stro­phen. Der in allem sehr zurück­hal­ten­de Cas­par David Fried­rich hat lie­ber ein See­stück gewählt, denn er moch­te sich erst spät über­haupt dazu entschließen.
    Cas­par David Fried­rich und Caro­li­ne Bom­mer ver­lob­ten sich im Jahr 1816. Mit sei­ner Beru­fung in die Dresd­ner Aka­de­mie im Dezem­ber 1816 bekam der Maler 150 Taler Gehalt und konn­te sich somit eine Fami­lie lei­sten. Er war damals 42 Jah­re alt.

    Bei dem Paar han­delt es sich um den Künst­ler selbst und sei­ne jun­ge Frau Caro­li­ne Bom­mer. Fried­rich galt zeit­le­bens als „men­schen­scheu­er Melan­cho­li­ker“. Umso grö­ßer war das Erstau­nen sei­ner Freun­de und Bekann­ten, als der 44–Jährige am 21. Janu­ar 1818 die 19 Jah­re jün­ge­re Caro­li­ne Bom­mer heiratete. 

    Bei dem im Bild dar­ge­stell­ten Paar han­delt es sich um den Künst­ler selbst und sei­ne jun­ge Frau Caro­li­ne Bom­mer. Die Hoch­zeit fand am 21. Janu­ar 1818 in der Dresd­ner Kreuz­kir­che statt, ohne Fried­richs Ver­wandt­schaft. — Der Ehe­mann setz­te sei­ne Ver­wand­ten erst eine Woche nach der Ehe­schlie­ßung per Brief dar­über in Kennt­nis, nach­dem sei­ne Frau ihn dazu gedrängt hat­te. In dem Brief offen­bar­te er auch sei­ne Anschau­un­gen über den neu­en Zustand der Ehe:

    „… mei­ne Frau fängt bereits an, unru­hig zu wer­den und hat mich wie­der­holt malen erin­nert zu schrei­ben; denn auch sie will schrei­ben um mit ihren neu­en Brü­dern bekann­ter zu wer­den. Es ist doch ein schnur­rig Ding wenn man eine Frau hat, schnur­rig ist wenn man eine Wirth­schaft hat, sei sie auch noch so klein; schnur­rig ist wenn mei­ne Frau mir Mit­tags zu Tische zu kom­men ein­la­det. Und end­lich ist es schnur­rig wenn ich jetzt des Abends fein zu Hau­se blei­be, und nicht wie sonst im Frei­en umher lau­fe. Auch ist es mir gar schnur­rig daß alles was ich jetzt unter­neh­me immer mit Rück­sicht auf mei­ne Frau geschieht und gesche­hen muß.“ (Zit. n.: Wiki­pe­dia: Caro­li­ne Friedrich.)