Berühren verboten!

Aber Gedanken sind frei

Der Ver­lust an Nähe ist das eigent­li­che Pro­blem. Ein Eis­berg, von man die Tie­fen nur ahnen kann.

Seit Ischgl wis­sen wir, es kommt auf die Virus­last an. Man infi­ziert sich kaum im Vor­bei­ge­hen, auf die Gefah­ren der Nähe kommt es an.

Kul­tur ist am Feu­er ent­stan­den. Vor­ne wird man gut ange­bra­ten und von hin­ten friert es. Also rückt man noch näher anein­an­der und reibt sich gegen­sei­tig den Rücken. Und dazu wer­den berau­schen­de Sub­stan­zen gereicht. Man starrt wie hyp­no­ti­siert ins Feu­er, öff­net sich dem Ande­ren, dann wird erzählt…

So sind die ersten Geschich­ten der Mensch­heit aus­ge­tauscht wor­den. Und wäh­rend man da so sitzt, krei­sen drum­her­um die Unge­heu­er. Woh­li­ge Schau­er lau­fen über den Rücken. Das ist Geborgenheit.

Und dann steckt man die Köp­fe zusam­men. Wie oft saßen wir näch­te­lang schwit­zend bei­ein­an­der. Im Nebel aller erdenk­li­cher Kör­per­aus­dün­stun­gen.  Men­schen sind Säu­ge­tie­re, sie machen sehr viel mit der Nase. Auch die Wahl von Part­nern und Freun­den geht über den Geruch.

Aber jetzt traut man sich nicht ein­mal mehr, die Nasen­flü­gel zu blä­hen. Es liegt womög­lich Coro­na in der Luft. Also bes­ser nicht all­zu tief und frei atmen. Als wäre Nähe inzwi­schen nur noch etwas für Lebensmüde. 

John Col­lier: Cir­ce (1885).

Was der Ver­lust an Nähe mit den Men­schen macht, dürf­te eben­so gefähr­lich sein, wie die Äng­ste, die Kin­der in den Sui­zid trei­ben. Wie soll man Kin­dern, Demen­ten und Ster­ben­den erklä­ren, daß Nähe gefähr­lich gewor­den ist.

Es ist, wie eine Umpro­gram­mie­rung. Man soll Nähe zulas­sen, sich berüh­ren las­sen, empa­thisch sein, ande­re auch gern ein­fach umar­men, weil es mehr ist als eine Geste, es ist ein Bekennt­nis der Mit­mensch­lich­keit.  Und jetzt?

Das ist wohl der Grund, war­um der Haß immer grö­ßer wird.

Berüh­ren ver­bo­ten! Nähe ist ver­däch­tig geworden.

Kul­tur ist Nähe, also gefähr­lich. Den­ken sowieso.

Aber Phi­lo­so­phie fin­det im Kopf statt. Die Gedan­ken sind frei.