Wenn seelenlose Sachen zum Leben erwachen

Jean–Léon Gérôme: Pygmalion et Galatée. Metropolitan Museum of Art, New York. — Quelle: Public Domain via Wikimedia. Pygmalion, ein Künstler in Zypern, ist maßlos enttäuscht von den Frauen und lebt nur noch für seine Bildhauerei. Unbewußt erfüllt er sich seinen Traum durch eine von ihm erschaffene Elfenbeinstatue, die wie eine lebendige Frau aussieht und dabei seinem Ideal entspricht. Das Abbild behandelt er mehr und mehr wie einen echten Menschen und schließlich verliebt er sich in seine Kunstfigur. Zypern ist die Heimat von Venus, daher fleht der Künstler die Göttin der Liebe an ihrem Festtag inbrünstig an, wenn schon seine Statue nicht zum Menschen werden könne, so sei ihm wenigstens vergönnt, daß seine künftige Frau so sei wie diese. — Als er dann aber von den Feierlichkeiten für die Göttin wieder nach Hause zurückkehrt und die Elfenbeinstatue zu liebkosen beginnt, erwacht diese langsam zum Leben.
Jean–Léon Gérô­me: Pyg­ma­li­on et Gala­tée. Metro­po­li­tan Muse­um of Art, New York. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Pyg­ma­li­on, ein Künst­ler in Zypern, ist maß­los ent­täuscht von den Frau­en und lebt nur noch für sei­ne Bild­haue­rei. Unbe­wußt erfüllt er sich sei­nen Traum durch eine von ihm erschaf­fe­ne Elfen­bein­sta­tue, die wie eine leben­di­ge Frau aus­sieht und dabei sei­nem Ide­al ent­spricht. Das Abbild behan­delt er mehr und mehr wie einen ech­ten Men­schen und schließ­lich ver­liebt er sich in sei­ne Kunstfigur.

Zypern ist die Hei­mat von Venus, daher fleht der Künst­ler die Göt­tin der Lie­be an ihrem Fest­tag inbrün­stig an, wenn schon sei­ne Sta­tue nicht zum Men­schen wer­den kön­ne, so sei ihm wenig­stens ver­gönnt, daß sei­ne künf­ti­ge Frau so sei wie die­se. — Als er dann aber von den Fei­er­lich­kei­ten für die Göt­tin wie­der nach Hau­se zurück­kehrt und die Elfen­bein­sta­tue zu lieb­ko­sen beginnt, erwacht die­se lang­sam zum Leben.

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Es ist aus­schließ­lich das Pri­vi­leg der Göt­ter, dem was leben soll, die See­le ein­zu­hau­chen. Im Sin­ne der magi­schen Welt­auf­fas­sung kön­nen See­len aller­dings beein­flußt wer­den. Gleich­wohl zielt der hin­ter alle­dem ver­bor­ge­ne Wunsch­traum zielt genau dar­auf ab, die­se Dif­fe­renz­zwi­schen Vor­stel­lung und Wirk­lich­keit immer klei­ner wer­den zu las­sen. — Bei aller Mühe, erscheint es dann wie ulti­ma­ti­ves Künst­ler­glück, wenn die Wer­ke tat­säch­lich täu­schend echt wir­ken oder viel­leicht sogar zum Leben erwachen.

Dar­auf zie­len letzt­lich sowohl die Magie, als auch die Kunst und die Phi­lo­so­phie: Es gilt, das abso­lu­te Wort, das ulti­ma­ti­ve Werk oder die voll­kom­me­ne Ein­sicht zu fin­den, zu schaf­fen oder zu rea­li­sie­ren. Die­ser nicht sel­ten mit Hybris ein­her­ge­hen­de Wil­le zum Werk legt es tat­säch­lich dar­auf an, daß sich die Sachen von selbst ›bewe­gen‹ und tat­säch­lich zu leben begin­nen. Auch der Traum des Phä­no­me­no­lo­gen steht dem in nichts nach: Mögen die Sachen von sich aus zu spre­chen begin­nen, so daß wir nicht mehr mit Unter­stel­lun­gen, Annah­men und Ver­mu­tun­gen arbei­ten müs­sen, son­dern ein­fach nur zuhö­ren, zuse­hen und mit­er­le­ben können.

ean–Léon Gérôme: Pygmalion et Galatée. Metropolitan Museum of Art, New York. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.
Jean–Léon Gérô­me: Pyg­ma­li­on et Gala­tée. Metro­po­li­tan Muse­um of Art, New York. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Hybris, das bedeu­tet Grenz­über­schrei­tung und zwar in einem über­aus magi­schen Sin­ne, etwa wenn eine eigent­lich unbe­seel­te Pup­pe wie Pinoc­chio, eine Skulp­tur wie die Gala­tée des Pyg­ma­li­on oder wenn ein Kunst­werk wie Das Bild­nis des Dori­an Gray zum Leben erwacht. Auch das ent­ge­gen­ge­setz­te Ver­fah­ren ist hoch pro­ble­ma­tisch, etwa wenn die See­le in ihrer emo­tio­na­len Beweg­bar­keit, in der sie eben ›gerührt‹ wer­den kann, ein­fach aus­zu­schal­ten, wenn sie durch einen kal­ten Stein ersetzt wird, wie in Das kal­te Herz von Wil­helm Hauff — Mit alle­dem gehen größ­te Befürch­tun­gen ein­her, die kos­mi­sche Ord­nung könn­te fun­da­men­tal gestört und viel­leicht sogar zer­stört wer­den. Es sind womög­lich bald schon kei­ne Ein­zel­fäl­le mehr, wenn so etwas auch nur ein ein­zi­ges Mal unge­straft mög­lich gewor­den ist.

Die Fas­zi­na­ti­on bei der Vor­stel­lung über die Macht magi­scher Wor­te ver­kehrt sich in gera­de Gegen­teil ange­sichts der Hor­ror­vor­stel­lun­gen, die sich sogleich ankün­di­gen, wenn auch nur einen Augen­blick dar­an gedacht wird, so etwas könn­te tat­säch­lich und wirk­lich mög­lich sein. Nicht nur die Gren­ze zwi­schen Wunsch und Wirk­lich­keit wäre dann nicht mehr von Bedeu­tung. Damit aber wür­den fun­da­men­ta­le Ori­en­tie­rungs­wei­sen unmög­lich gemacht, so daß sich zeigt, wor­um es bei sol­chen Hor­ror­vor­stel­lun­gen wirk­lich geht: Wo Arte­fak­te leben­dig wer­den, wo Sachen selbst zu spre­chen begin­nen, wo fun­da­men­ta­le Gren­zen nicht mehr gel­ten, dort wür­de die Ord­nung der Din­ge bis in die Fun­da­men­te erschüttert.

Es geht dabei aller­dings weit weni­ger um die Natur der Sachen selbst, als viel­mehr um den Bestand der Kul­tur. Alle rele­van­ten Ori­en­tie­rungs­mu­ster set­zen auf sol­che Unter­schei­dun­gen, daher kann es gar nicht denk­bar sein, daß die Gren­zen zwi­schen dem Leben­den und dem Toten, dem Unbe­seel­ten und dem Beseel­ten oder zwi­schen dem Künst­li­chen und dem Natür­li­chen nach Belie­ben über­schrit­ten wer­den. Das ist dann auch der Grund für das Grau­en, den Abscheu aber auch die Fas­zi­na­ti­on und das heim­li­che Inter­es­se an der Magie als schwar­ze Wis­sen­schaft oder auch ein­fach nur als Zauberkunst.

Aus­zug aus: https://​www​.nen​nen​-online​.de/​e​m​p​a​t​h​ie/