Wir alle spielen Theater

Wir alle spielen Theater

WS 2020 | donnerstags | 12:00–13:30 | Raum: Online
Beginn: 5. Nov. 2020 | Ende: 18. Febr. 2021

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Mat­thieu Bou­rel: Self­con­fi­dence, Auto­no­my. — Quel­le: https://​high​li​ke​.org.

Die Meta­pher vom Thea­ter ist neben der von der Schiff­fahrt von para­dig­ma­ti­scher Bedeu­tung. Im Mit­tel­al­ter sah man die Welt als Büh­ne, mit nur einem ein­zi­gen Zuschau­er, Gott. — Das ist nur eine von vie­len Sta­tio­nen in der Psy­cho­ge­ne­se, die sich so beschrei­ben läßt, daß wir im Ver­lau­fe der Zeit vie­les ›ver­in­ner­li­chen‹.

Ganz all­mäh­lich ist der inne­re Kos­mos unse­rer Psy­che immer umfang­rei­cher gewor­den. Das wie­der­um führ­te dazu, daß wir auch in der Rol­len­über­nah­me inzwi­schen anders vor­ge­hen. — Rol­len wer­den immer weni­ger ›gespielt‹, son­dern von innen her ›ent­wickelt‹. Wir suchen und fin­den in der eige­nen Psy­che den per­sön­li­chen Zugang zu einer Figur, deren Rol­le über­nom­men wer­den soll.

In die­sem Sin­ne ist die Schau­spiel­theo­rie auch psy­cho­lo­gisch von gro­ßer Bedeu­tung, gera­de auch in Hin­sicht auf Iden­ti­täts­phi­lo­so­phie. Die Viel­falt in der eige­nen Psy­che wird nicht nur immer kom­ple­xer, son­dern auch wider­sprüch­li­cher. Dabei zeigt sich eine inter­es­san­te Ent­wick­lung, die das The­ma die­ses Semi­nars sein soll, die Mög­lich­keit, mit ›mul­ti­plen Iden­ti­tä­ten‹ umge­hen zu kön­nen. So hat der Schau­spiel­leh­rer Kon­stan­tin Ser­ge­je­witsch Sta­nis­law­ski einen neu­en Ansatz ent­wickelt, wie die Arbeit des Schau­spie­lers an sich selbst und im schöp­fe­ri­schen Pro­zeß des Erle­bens einer Figur, des Ver­kör­perns und der Arbeit an der Rol­le sehr viel inten­si­ver gestal­tet wer­den kann. — Eine Rol­le nur zu spie­len, das genügt kei­nes­wegs, das wäre schlech­tes Thea­ter. Es kommt dar­auf an, die Figur, die Rol­le, die Welt einer Hand­lung in sich zu suchen, zu fin­den und sich dann hineinzufühlen. 

Auch der US–Amerikanische Schau­spiel­leh­rer Lee Strasberg ent­wickel­te mit dem Method Acting einen neu­en, tie­fe­ren Zugang zur Schau­spiel­kunst, um die Natür­lich­keit und die Inten­si­tät der schau­spie­le­ri­schen Dar­stel­lung zu stei­gern. Mit Hil­fe eines von ihm ent­wickel­ten Instru­men­ta­ri­ums soll­ten Schau­spie­ler die Rol­le in sich selbst fin­den, her­aus­zu­brin­gen, um dann damit zu verschmelzen.

Jean–Léon Gérô­me: The Duel After the Mas­quer­a­de (1857f.). Es ist ein Clown,
ein Pirot, der nach der Vor­stel­lung duel­liert und töd­lich getrof­fen niedersinkt.
— Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Aber nicht nur für Schau­spiel und Schau­spiel­kunst ist das alles von Inter­es­se. Auch im Zuge der Psy­cho­ge­ne­se und vor dem Hin­ter­grund, daß wir alle immer mehr Thea­ter spie­len und immer wei­ter aus­dif­fe­ren­zier­te Rol­len über­neh­men, wird die Fra­ge der Ein­füh­lung von immer grö­ße­rer Bedeu­tung. Wir leben in unru­hi­gen Zei­ten, was auch damit zusam­men­hängt, daß die Psy­cho­ge­ne­se wie­der einen Schritt wei­ter vor­an­ge­schrit­ten ist. Das ist der aktu­el­le Stand in die­ser Ent­wick­lung, daß wir nicht mehr Rol­len über­neh­men, son­dern ver­schie­de­ne Iden­ti­tä­ten, um die­se zunächst aus uns selbst her­aus zu ent­wickeln. — Damit kommt eine wei­te­re, sehr gro­ße Her­aus­for­de­rung in die Welt, es gilt, nicht mehr nur ›authen­tisch‹ zu sein, son­dern eben auch ›viel­fäl­tig‹ in der Varia­ti­on der Iden­ti­tä­ten, die ein­an­der wider­spre­chen kön­nen. Das ist offen­bar eine ganz neue Errun­gen­schaft, die aller­dings mit erheb­li­chen Irri­ta­tio­nen einhergeht.

Der Mensch in der Moder­ne ist ein Trä­ger vie­ler Mas­ken. Das ist eigent­lich eine ganz ent­schei­den­de, höchst aktu­el­le Errun­gen­schaft, die Fähig­keit, mul­ti­ple Iden­ti­tä­ten ver­kör­pern zu kön­nen, die sogar mit­ein­an­der im Wider­streit ste­hen kön­nen. Aber die Sou­ve­rä­ni­tät, dann auch tat­säch­lich dar­über zu ver­fü­gen, hält sich der­zeit noch in Gren­zen. Um die neu­en Kom­pe­ten­zen an den Tag zu legen, fehlt noch immer der Mut, die Legi­ti­mi­tät des eige­nen Indi­vi­dua­lis­mus, der die eige­ne Auto­no­mie erst selbst ernst neh­men müß­te. Nur weni­gen gelingt es bereits. All­über­all schämt man sich des­sen, spricht von Wahr­heit, Empa­thie, Authen­ti­zi­tät, Auf­merk­sam­keit und vom wah­ren Selbst, als ob es das wirk­lich gäbe.

Das unum­gäng­li­che Mas­ken­spiel soll­ten wir tat­säch­lich ganz bewußt betrei­ben. Statt­des­sen wird jedoch immer so getan, als sei alles echt, als wüß­te man zwi­schen Echt­heit und Unecht­heit sehr wohl zu unter­schei­den. Dabei ist in der Tat vie­les Thea­ter oder man­ches nur ›Show‹, aber mit­un­ter erscheint es so, als käme es ohne­hin nur noch dar­auf an, daß die Show stimmt. — Dis­kur­se wie die über ›Empa­thie‹, ›Auf­merk­sam­keit‹ und ›Wahr­haf­tig­keit‹ lie­gen daher als kri­ti­sche Reak­tio­nen gera­de­zu auf der Hand. Aber auch das sind selbst wie­der nur Rol­len, eben sol­che, die Authen­ti­zi­tät dar­stel­len sol­len, um aber genau dar­in wie­der­um Rol­len­spiel zu betreiben.

Aller­dings spie­len wir alle Thea­ter, neh­men Rol­len wahr, ver­kör­pern sie, gehen aber nicht rest­los dar­in auf. Vor­zei­ten iden­ti­fi­zier­ten sich Men­schen noch mit ihrem ›Stand‹, mit ihrem ver­meint­li­chen gesell­schaft­li­chen ›Sein‹, und der Aus­druck indi­vi­du­el­ler Frei­hei­ten war als ›Spleen‹ nur weni­gen vor­be­hal­ten, ganz exklu­siv am lieb­sten den exzen­tri­schen Atti­tü­den alten Adels. 

Die Uni­ver­sa­li­sie­rung der Rol­len­über­nah­me ist dafür ver­ant­wort­lich, daß inzwi­schen fast nur noch insze­niert wird. Wo zuvor eine gera­de­zu skla­vi­sche Rol­len­be­set­zung statt­ge­fun­den hat, herrscht nun der unbe­ding­te Wil­le zur Mei­nung vor. Das Publi­kum insze­niert sich inzwi­schen selbst, so wie es Poli­tik und Medi­en seit Jahr­zehn­ten vor­ex­er­zie­ren. Daher wird die Kon­stel­la­ti­on immer unüber­sicht­li­cher, es gibt eigent­lich kein Publi­kum mehr, nur noch Akteu­re. — Ins­be­son­de­re das Sub­jek­ti­vie­ren, das Emo­tio­na­li­sie­ren und das Skan­da­li­sie­ren kon­kur­rie­ren­der Auf­fas­sun­gen, ein­fach nur, weil sie nicht dem eige­nen Stand­punkt zuzu­ord­nen sind, hat sich inzwi­schen flä­chen­deckend ausgebreitet.

Neu­zeit­li­che Thea­ter­maske für den Dar­stel­ler des Mephi­sto. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Man­che der Instan­zen unse­rer Psy­che las­sen sich wie poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen betrach­ten, zu denen nun­mehr eine neue hin­zu­kom­men wird, ein­fach weil sie hin­zu­kom­men muß: Das mul­ti­ple Selbst ist eine gro­ße Her­aus­for­de­rung, weil es nun dar­um geht, zwi­schen allen erdenk­li­chen Per­spek­ti­ven zu mode­rie­ren und zwar in dem Bewußt­sein, daß kei­ne die­ser Hin­sich­ten den Anspruch hegen darf, allein gül­tig zu sein. Es gilt, das eine zu tun ohne das ande­re zu las­sen. — Aller­dings kann es ein gro­ßes nicht nur rein intel­lek­tu­el­les Ver­gnü­gen berei­ten, Gefüh­le einer­seits authen­tisch zu erfah­ren, um zugleich ket­ze­risch das eige­ne Emp­fin­den iro­nisch zu spiegeln.

Zu jeder moder­nen Psy­che gehört es eben, nicht nur die vor­mals exter­nen Instan­zen der Ord­nung, der Dis­zi­plin und der Bestra­fung als Selbst­dis­zi­pli­nie­rung in sich hin­ein­ge­nom­men zu haben. Es gehört eben­so mit dazu, daß wir zugleich eine gan­ze Ket­zer­ver­samm­lung mit uns her­um­füh­ren, die nur auf eine Gele­gen­heit war­tet, alles, was hei­lig sein soll, vom Sockel zu sto­ßen. — Es kommt eben dar­auf an, selbst­be­wußt genug zu sein, alle die­se inne­ren Wider­sprü­che nicht zu kaschie­ren, son­dern im Gegen­teil, sie als Per­spek­ti­ven zu wür­di­gen, jede, wie es ihr zukommt.

Also: Wird eine Situa­ti­on als ›roman­tisch‹ emp­fun­den, weil sie bestimm­ten Bil­dern, Vor­stel­lun­gen und ein­schlä­gi­gen Nar­ra­ti­ven ent­spricht? — Sol­che Fra­gen haben das For­mat von Glau­bens­kon­flik­ten, wie sie Prie­ster seit je hat­ten, wenn sie vor ihrer Gemein­de auf­tre­ten muß­ten, aber nicht offen­bar wer­den las­sen durf­ten, daß sie viel­leicht selbst sich ihres Glau­bens gar nicht mehr so sicher waren. Lan­ge Zeit wur­de erwar­tet, daß sie nicht durch­blicken las­sen, wie es um den eige­nen Glau­ben steht, weil sie doch die ihnen anver­trau­ten Scha­fe in einen pani­schen Schrecken ver­set­zen könnten.

Hawen King: Pro­mo­tio­nal masks
for the DVD release of „V for Ven-
det­ta“ at HMV in Tokyo. To get a
mask you had to buy the DVD. 8.
Sept. 2006, V for Ven­det­ta. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Auto­no­mie ist der Anspruch und die Fähig­keit, sich selbst ein eige­nes Bild von der Welt und den Sachen zu machen, selbst wenn sie uns zutiefst berüh­ren und viel­leicht auch äng­sti­gen. Dabei ist es mög­lich, zugleich mit­ten drin zu sein und den­noch sich selbst und das gan­ze Trei­ben von außen zu betrach­ten. Tat­säch­lich ist erst das wah­res Glück, sich inmit­ten erfül­len­der Erleb­nis­ses zu fin­den, die viel­leicht tat­säch­lich muster­gül­tig sind, so wie es die Nar­ra­ti­ve vor­se­hen. — Glück bedeu­tet, sich selbst in sol­chen Situa­tio­nen als authen­tisch zu erfah­ren und zugleich selbst­iro­nisch den Über­schwang der eige­nen Gefüh­le zu spie­geln. Das erst wäre tat­säch­lich ein Aus­druck von Auto­no­mie, Sou­ve­rä­ni­tät und Selbst­be­wußt­sein. Ent­schei­dend wäre nur, ob die Erleb­nis­se tat­säch­lich von Bedeu­tung sind, oder ob es nur rein äußer­lich um Insze­nie­rung, nur um das ›Als–Ob‹ geht.

Es gilt, ein mul­ti­ples Selbst und Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät zu ent­wickeln. Denn wenn wir den bis­he­ri­gen Ver­lauf der Psy­cho­ge­ne­se in die Zukunft ver­län­gern, dann wer­den wei­te­re Inter­na­li­sie­run­gen fol­gen. Das wer­den vor allem auch sol­che sein, die Pro­ble­me berei­ten, weil sie immer mehr mit­ein­an­der im Hader lie­gen wie Prie­ster und Ket­zer, wie Scha­ma­nen und Wis­sen­schaft­ler, wie Natur– und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten. — Es wird ganz gewiß nicht ein­fa­cher, son­dern kom­pli­zier­ter, wenn nun­mehr wei­te­re wider­sprüch­li­che Figu­ren und Nar­ra­ti­ve hin­zu­kom­men, so, wie wir inzwi­schen fast den gan­zen Göt­ter­him­mel in uns haben als Teil unse­rer Psyche.

Nicht nur die sozia­le Außen­welt, son­dern auch die psy­chi­schen Innen­wel­ten dif­fe­ren­zie­ren sich im Ver­lauf der Kul­tur­ge­schich­te immer wei­ter aus. Wenn die Welt, weni­ger die natür­li­che Umwelt, als viel­mehr die sozio­kul­tu­rel­le zwei­te Natur, immer kom­ple­xer wird, dann stei­gen die Anfor­de­run­gen, wirk­lich noch zu ver­ste­hen, was eigent­lich gespielt wird. — Es soll­te daher mög­lich sein, die inhä­ren­te Dia­lek­tik ver­schie­de­ner Per­spek­ti­ven mit allen ein­schlä­gi­gen Dif­fe­ren­zen ganz bewußt in Dienst zu neh­men, um sodann selbst den­ken und sich an die Stel­le eines jeden ande­ren ver­set­zen zu kön­nen, um schließ­lich im Bewußt­sein aller die­ser unter­schied­li­chen Stim­men aufzutreten.

Selt­sa­mer­wei­se erschei­nen gera­de die grie­chi­schen Göt­ter oft wie Dar­stel­ler ihrer selbst. Wenn sie ihre Mas­ken wie ein Visier hoch­ge­klappt haben, dann wir­ken sie wie Schau­spie­ler wäh­rend der Dreh­pau­se in einem der vie­len Stücke, in denen sie sich selbst ver­kör­pern. — Die Göt­ter der Anti­ke sind wie die Stars unse­rer Tage, die Ster­ne von damals sind die Stern­chen von heute.

Alle ihre Fähig­kei­ten, mit denen sie sich im Ver­lau­fe der Zeit ange­rei­chert haben, las­sen sich oft noch an den vie­len Bei­na­men erken­nen. Das sind Aspek­te ver­ein­nahm­ter Häupt­lings­tü­mer, es sind die inter­na­li­sier­ten Gei­ster der Clans, die längst auf­ge­gan­gen sind im grö­ße­ren Gan­zen die­ser Göt­ter­ge­stal­ten. — Göt­ter ver­fü­gen über mul­ti­ple Iden­ti­tä­ten, daher fällt es ihnen so leicht, in frem­der Gestalt auf­zu­tre­ten, um sich doch selbst treu zu bleiben.

Die Göt­ter beherr­schen das Spiel mit den Mas­ken. Beson­ders Zeus wech­selt ein ums ande­re Mal für Lie­bes­aben­teu­er äußerst spek­ta­ku­lär die eige­ne Gestalt: Er nähert sich sei­ner spä­te­ren Gat­tin Hera als durch­näß­ter, zit­tern­der Kuckuck, als Stier der Euro­pa, als Schwan der Leda, als gol­de­ner Regen der Danaë und um den Hera­kles zu zeu­gen, ver­wan­delt er sich in Amphi­try­on, den Gat­ten der Alk­me­ne. — Ganz offen­bar besteht für ihn nicht der gering­ste Anlaß zur Sor­ge, daß die frem­de Gestalt auch voll­kom­men frem­de Erfah­run­gen beim Lie­bes­spiel mit sich brin­gen könnte.

Göt­ter wie Zeus beherr­schen ein­fach die­ses bedeu­ten­de Kunst­stück, sich auch in frem­der Gestalt noch immer selbst treu zu blei­ben. — Und das nun­mehr im Zuge der Psy­cho­ge­ne­se anste­hen­de mul­ti­ple Selbst wird sei­ner­seits über die­se ent­schei­den­de gött­li­che Fähig­keit ver­fü­gen, sich anver­wan­deln zu kön­nen. Das ist eigent­lich der höch­sten Göt­ter Kunst, die Gestalt wech­seln zu kön­nen. Die Ein­wän­de dage­gen, da sei kei­ne Wahr­haf­tig­keit, son­dern nur Insze­nie­rung aber kei­ne Authen­ti­zi­tät, son­dern Vor­spie­ge­lung im Spie­le, kön­nen nicht ver­fan­gen, weil unter­stellt wird, was gar nicht der Fall kann: Wir haben nicht die eine ein­zig wah­re Natur, das inne­re, ein­zig ver­bind­li­che Selbst oder irgend­ei­ne ein für alle Mal fixier­te Iden­ti­tät in uns, die ehr­lich­keits­hal­ber nur zum Aus­druck gebracht wer­den muß, wäh­rend alles ande­re nur Lug und Trug sein würde.

Die Fra­ge nach der Wahr­haf­tig­keit eines Got­tes, der eine Meta­mor­pho­se voll­zo­gen hat, ist unan­ge­bracht, sowohl einem Scha­ma­nen wie auch einem Schau­spie­ler gegen­über. Es ist irrele­vant, ob der Clown hin­ter sei­ner Mas­ke weint und daß im Scha­ma­nen­ko­stüm oder in der Rol­le noch immer der­sel­be Mensch steckt, es kommt dar­auf an, was sich dar­auf ereig­net. — Auf die äußer­li­chen Fak­ten kommt es nicht an, ent­schei­dend ist viel­mehr das inne­re Erle­ben: Selbst­ver­ständ­lich ist der Dar­stel­ler, was er vor­gibt zu sein, eben­so wie auch der Scha­ma­ne den geru­fe­nen Geist mög­lichst authen­tisch verkörpert.

Paul Klee: Zwei Män­ner, ein­an­der in höhe­rer Stel­lung ver­mu­tend, begegnen
sich (1903). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Wir alle spie­len Thea­ter, was kei­nes­wegs bedeu­tet, daß es uns nicht mit der jewei­li­gen Rol­le ernst wäre. Mas­ken­spiel ist eine aus­ge­zeich­ne­te Meta­pher für das, was sich da eigent­lich ereig­net, es ist der Bruch mit der nai­ven Erwar­tung, daß wir immer die­sel­ben sind und es auch blei­ben. — Wer eine Mas­ke auf­setzt, über­nimmt eine Rol­le, wird somit zu jemand ande­rem, wech­selt also die Identität.

Im Zen­trum die­ser Erör­te­run­gen ste­hen die Hand­lungs­ur­sa­chen, die Moti­ve und die Ori­en­tie­rung in Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen. Dabei waren die Men­schen der vor­klas­si­schen Zeit, so die­se Theo­rie, offen­bar noch gänz­lich außen­ge­lei­tet. Erst all­mäh­lich beginnt dann die Inter­na­li­sie­rung, so daß wir inzwi­schen fast stets innen­ge­lei­te­te Hand­lungs­mo­ti­ve unter­stel­len dürfen.

Auf irgend­ei­ne Wei­se müs­sen also die vor­ma­li­gen Gei­ster, Göt­ter und Auto­ri­tä­ten oder viel­leicht auch Anti–Autoritäten, all­mäh­lich ins Inne­re, in die Innen­welt unse­rer Psy­che gelangt sein. — Denn: Wir tra­gen die Göt­ter in uns. Sie wur­den inter­na­li­siert, und die Inter­na­li­sie­rung der ehe­dem exter­nen Stim­men gelingt ganz offen­bar in einem Pro­zeß, der an Schi­zo­phre­nie den­ken läßt.